Freitag, 27. November 2015

Umgang mit dem Bodensatz der Gefühle


Meine sehr geschätzte Kollegin Mella Dumont ist verärgert. Aus objektiv gutem Grund, denn in
einem Kreise einander gut und auch persönlich bekannter Kollegen wurden Interna ausgetauscht, die dann in sehr hässlicher Weise in einem Verriss eines der Werke einer der Kollegen verwendet wurden.

In diesem für sich schon ärgerlichem Zusammenhang kam dann auch heraus, dass diese Kollegin auch gerne und mit Genuss die Werke der Konkurrenz verreißt. Über Sinn und Unsinn im Umgang mit Bewertungen äußere ich mich in einem anderen Beitrag.

Der wesentliche Aspekt des Grolls von Mella sind Neid und Missgunst und Hass, die bei meiner sonst so friedlichen Kollegin Echos werfen.

Da Autoren Künstler sind, und Künstler im Allgemeinen sehr stolz auf ihre Emotionalität, die sie als Teil ihrer Kreativität begreifen (und gelegentlich auch vorschnell entschuldigen), sind eben auch schlechte Emotionen hier besonders ausgeprägt. Ihr alle wollt Dramatik in euren Büchern und die können wir nur liefern, wenn wir auch mal auf der dunklen Seite forschen. Sorry, ist so. Also seid vorsichtig, wann ihr einen Autor ansprecht. Wobei es vielleicht nicht nur für Autoren und deren Freunde wichtig ist, sich Gedanken über den Ursprung, die Dynamik und den Umgang mit jener dunklen Seite zu machen, die man so gerne verdrängt und tabuisiert.

Zunächst ist das Ausloten der Abgründe für sich nicht schlimm. Der Mensch ist aus gutem Grund ein vielschichtiges Wesen und die Dreieinigkeit aus Kopf, Herz und Bauch kommt, richtig eingesetzt, zu zuverlässig guten Ergebnissen.

Die meisten dunklen Gefühle oder niederen Triebe sitzen im Bauch, der (Zufall oder nicht) ja auch bei Standardmodell an unterster Stelle angebracht ist. Der Bauch ist unser Wächter. Er passt auf uns auf und sorgt sich um uns. Er ist unsere Mitte, unsere Verortung im Hier und Jetzt.
Ganz egoistisch meistens. Er sorgt sich um die Primärfunktion. Bedürfnisse! Musthaves!

Das Herz ist etwas differenzierter. Da entwickeln sich  "Werte", so schwer greifbare Dinge wie Gewissen, Ethik, Richtig und Falsch. Ein Herz ist für Geben und Nehmen, hält alles am Laufen. Für Autoren ganz besonders, außer man schreibt Fachbücher. Es  will ein lebenswertes Leben und achtet auf die Wohlfühlfaktoren. Wünsche! Shouldhaves!

Der Kopf schließlich ist für dieses Geschwurbel nicht so zu haben und sieht das analytisch. Fakten, Fakten, Fakten, Möglichkeiten!


Ich habe heute erst ein Video über die Rettung eines Hais gesehen, das ein gutes Beispiel ist: Das Herz sagt "Das ist ein Lebewesen in Not. Tu was!". Der Bauch sagt: "Hast du die Zähne gesehen. Das ist ein Monster!" Und der Kopf darf vermitteln: "Wir retten das Vieh, ohne uns beißen zu lassen!"

Ich wurde, was mich sehr getroffen hat, kürzlich geschimpft, ein Kopfmensch zu sein, den man meiden müsse. Darüber habe ich ein paar Tage nachgedacht und das in verschiedenen emotionalen Extremen auch ausgefühlt. Was leicht ist, weil ich auch tatsächlich gemieden wurde und daher Zeit und keine Ablenkung hatte.

Mein Kopf meint, dass ich abwarten kann, bis genau diese Fähigkeit, Lösungen zu finden, wieder gebraucht wird.
Mein Bauch meint, dass er aus Erfahrung weiß, dass das nicht stimmt und es daher wurst ist (a apropos, ich habe Hunger!).
Mein Herz hingegen sagt, dass das alles richtig ist, aber sich trotzdem scheiße anfühlt. Weil es sich übergangen fühlt.

Es sind interessante Erfahrungen, die tatsächlich auch für Geschichten dienlich sind. Beim Lesen funktioniert es nämlich umgekehrt. Der Verstand nimmt den Text auf und übersetzt die Worte für das Herz, das nachfühlen will. Und die dabei aufgeweckten Emotionen darf dann der Bauch verdauen. Notfalls unter Zuhilfenahme abzuknabbernder Fingernägel und Tränen in den Augen.

Tatsächlich beginne ich alles, was ich tue, mit dem Herzen, das wenn man so will, der Auftraggeber meines Verstandes ist. Wenn das Herz das Ziel festlegt, hat es sich bewährt, den Verstand, den Weg suchen zu lassen. Sonst bleibt es ja beim Wunschzettelschreiben, was zwar saisonal passend, aber auf lange Sicht allenfalls zufällig zielführend ist.
Mein Bauch führt dabei die Aufsicht, denn tatsächlich neige ich dazu, bei der Zielerreichung mit mir selbst zu rücksichtslos umzugehen.

Faszinierend ist, dass man einander auf jeder Ebene begegnen kann. Dass es aber auf Dauer nur funktioniert, wenn entweder das Terrain klar ist oder es eben auf allen Etagen klappt.
Oder eben nicht ...

Was mich wieder zum Ausgangsfall zurückbringt:
Ich bin überzeugt davon, dass man die dunkle Seite aktzeptieren muss, sie kennen und verstehen.
Neid oder auch Missgunst ist ein Bauchgefühl. Es entspringt unserem Bedürfnis, die uns unserer Meinung nach zustehende Position zu erreichen oder auch zu verteidigen. Das ist wichtig - evolutionär und auch im persönlichen Fortkommen. Eifersucht funktioniert ganz ähnlich. Und immer lauert gut verschlüsselt hinter diesen Emotionen Angst. Angst, wovor auch immer. Darum predige ich in der Beratung wie auch in meinen Geschichten so geduldig, dass es tausendmal besser ist, sich der Angst, der Dunkelheit, den bösen Gedanken zu stellen, als mit ihnen zu leben. Denn sie bleiben. Die Angst mag wieder absinken und schlafen, wenn der Anreiz fort ist, aber sie bleibt bei uns, bis wir sie hinter uns gelassen haben. Darauf bauen tausend Geschichten auf. Und tatsächlich beschäftigen sich viele Plots hauptsächlich damit, wie der Held deine Angst überwindet. Das ist spannend, lehrreich und motivierend, so gewinnt man Leser.

Rache ist auch so ein Bauchgefühl, das dem Bedürfnis entspringt, Ausgleich zu schaffen, um einen in Schieflage geratenen Status quo zu korrigieren. Es geht nämlich darum, dem Ziel der Rache eine Lektion zu erteilen. Aus Angst vor Wiederholungen.  Wirklich Bauch ist dabei nur das Gefühl der Schieflage. Wenn auf meiner Seite was Böses liegt, muss es auch auf die andere Seite gelegt werden, damit die Waage wieder austariert ist. Das Herz sollte lächeln. Die Welt wird dadurch schlechter. Lass doch einfach dein Böses los. Frag den Kopf wie das geht, der findet schon eine Lösung (was er auch muss, um auf die andere Seite etwas zu laden).

Aber es sollte nicht ungefiltert ins Außen entlassen werden. Das Herz ist das Korrektiv unter sozialen Aspekten (ist es nötig?) und der Kopf unter strategisch, taktischen (lohnt es?).

Es sollte aber auch nicht in sich hineingefressen werden. Es ist nicht gut, vor lauter political correctness, Faulheit, Bequemlichkeit oder auch Angst, diese schlechten Gefühle in Kisten zu sperren und in die Keller unserer Persönlichkeit zu bringen, wo sie zuallererst einmal Magengeschwüre und schlechte Träume versprechen. Und Hass.
Hass ist das, was am Ende eines Gärvorgangs entsteht, wenn ein solches dunkles Gefühl sich verselbständigt. Hass ist Bitterkeit in Bewegung, es ist das Ende jeder Auseinandersetzung, vor allem aber das persönliche Versagen, denn er zehrt immer von seinem Wirt, von dem, der ihn hegt, frisst alles Gute und verschmutzt alles Liebenswerte.

Auch in diesem Fall einer Hassrezension, die weit, weit unter die Gürtellinie ging, offenbart sich das. Es geht nicht wirklich um das Werk, das nur ein Mittel zum Zweck war. Es nicht einmal um die Autorin.
Das wissen Herz und Kopf und so zeigt sich, dass man immer dreimal prüfen sollte, bevor man handelt.
Weil die Tat das Ziel nicht trifft.
Weil das Motiv für diese Tat allein in der Welt des Hassers liegt, der sich dadurch keine Erleichterung verschaffen kann, selbst wenn er nicht aufgeflogen wäre.
Weil es die eigene Vergangenheit ist, die vor allem einem selbst die Gegenwart versaut.
Weil so günstigstenfalls (also bei Erfolg) anderen die Welt auch schlechter, aber die eigene keinesfalls besser wird.
Weil man noch frustrierter sein wird, wenn man er sein Ziel nicht trifft und das schlechte Gefühl allein in der eigenen Welt fortbesteht.
Weil man sich selbst klein und hässlich macht, was umso trauriger ist, je besser, bewundernswerter und begabter man doch eigentlich ist.
Weil es die eigenen Dämonen sind, die man nicht dadurch besiegt, dass man sie auf andere loslässt. Dämonen werden nicht müde, das weiß ich aus Erfahrung, die ich mit Blut, Schweiß und Tränen bezahlt habe.

Wenn ich über solche Dinge nachdenke, bin ich nicht wütend. Ich bin nicht traurig. Ich bin müde. Weil das so unnötig ist.

Außer für Autoren. Die können daraus gute Geschichten machen.

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