Montag, 15. Februar 2016

Der Au-Tor IV: Die Suche nach dem heikligen Gral oder auf der Jagd nach dem perfekten Text



 
Ich lese seit Tagen auf Facebook, auf diversen Blogs, auf Twitter und weiß der Henker wo sonst noch allerlei Sinn und Unsinn über die Schriftstellerei im Allgemeinen, über Abschreiben und Neu Schreiben, die ewig gleichen Grabenkämpfe zwischen Indie und Verlag und die Notwendigkeit von Lektoren. Und immer, wenn es endlich ruhiger wird, postet der nächste und das Karussell dreht sich erneut.
Ich habe, weil ich die Aufregung verstehen will – und ja, weil es mich auch ein bisschen (ziemlich) aufgeregt hat – mir das Drama mal in Ruhe angeschaut und versucht, etwas Ordnung hineinzubringen. Ganz unaufgeregt und gründlich. In vier Teilen, weil der Beitrag sonst zu lang wird. 
-        1. Akt: Qualität kommt von Quälen!
-        4. Akt: Die Suche nach dem heikligen Gral oder auf der Jagd nach dem perfekten Text.
 
 

4. Akt
Auf der Jagd nach Perfektion oder Die Suche nach dem heikligen Gral


Nochmals möchte ich in Erinnerung rufen, dass keiner der Hauptakteure und Komparsen in diesem Drama zu irgendeinem Zeitpunkt behauptet hat, dass man schlechte und/oder geklaute Texte veröffentlichen soll. Niemand hat sich gegen Qualitätssicherung ausgesprochen.
Wie diese QS dagegen aussehen soll – darüber kann es schon zu Mord und Totschlag kommen. Seltsam eigentlich. Man sollte meinen, das Ergebnis zählt. Und nur sicherheitshalber sei erwähnt, dass „heiklig“ eine bis heute noch zulässige altertümliche Form von „heikel“ ist, die ich bewusst wählte, weil sie das Wortspiel mit „heilig“ besser erlaubt.
 
Was ist gut?
Mein sehr szeneerfahrener und sturmerprobter Autorenfreund Thomas Knip hat eine sehr interessante Berechnung aufgestellt, die sich mit der anlässlich der immer noch tobenden Schlammschlacht umstrittenen Frage befasst, wie viele Fehler in einem Buch noch tolerabel seien:
"Ich habe sehr viele Heftromane eingescannt, nach- und aufbereitet. Dabei habe ich mir zu Beginn 99% (Fehlerfreiheit) als Zielt gesetzt. Ein Heftroman hat durchschnittlich 180.000 Zeichen.
Dann habe ich nachgerechnet, und mir ist bewusst geworden, dass 99% bedeutet, im Text stecken noch 1.800 Scanfehler. Das geht natürlich nicht. Für mich ist eine einstellige Fehlermenge tolerabel, also maximal 9 (glücklich bin ich damit trotzdem nicht). Das heißt aber, dass ich bei meiner Bearbeitung eine Perfektion von 99,995% erreichen muss. Mindestens.
Bei der Zahl werden sich die meisten an den Kopf fassen. Weder Internetanbieter noch Stromlieferanten garantieren eine solche Quote. Vielleicht noch Betreiber von Kernkraftwerken (hofft man)."
Halten wir fest - in keiner anderen Sparte wird ernsthaft ein solcher Grad von Fehlerfreiheit gefordert. Das gibt es nur in der Literatur. Ich will da auch gar nicht widersprechen. Aber man sollte sich gelegentlich überlegen, was da eigentlich gefordert wird und ob man nicht übers Ziel hinausschießt.
Aber unabhängig von der Frage, welche Fehlerquote tolerabel ist, ist damit in jedem Fall Qualitätssicherung erforderlich. Soweit besteht noch Einigkeit. Der Streit bricht los, wenn man beginnt über Art, Ziel und Umfang der QS zu sprechen.
 
Autoren sind feige
Es ist erstaunlich, wie wenig selbstbewusst viele Autoren mit ihrer Kunst umgehen. Man las beim Schlammcatchen im 2. Akt Erstaunliches.
 
Autoren behaupteten im Brustton der Überzeugung, dass sie allein außerstande seien, Texte zu fertigen, die nicht "mit Millionen Adjektiven", "Wortwiederholungen" und "Logikbrüchen" verseucht sind.
 
Sie behaupteten weiterhin, solche Fehler könnte der Autor „unmöglich selbst beheben“, er sei auch bei Plotholes, Stil- und Charakterbrüchen oder erforderlichen Kürzungen völlig überfordert.
Okay. Pause! Stellt euch vor, ein Chefkoch verlangt von seinem Arbeitgeber, dass er unbedingt einen Vorkoster und einen Nachwürzer benötigt, weil er echt beim besten Willen nicht selbst entscheiden kann, wie viel Salz in die Suppe gehört und was dem Leser schmecken könne. Im Gegenteil - Witzigmann, der Jahrhundertkoch (tatsächlich ein offizieller Titel) stürmte dereinst in der Münchner Aubergine aus der Küche, um einem Gast, der nachwürzen wollte, erbost zu erklären, in einen Picasso würde man schließlich auch nicht reinkritzeln. Nein, würde man nicht! Und auch nicht bei Beuys nachfeilen oder anmerken, dass man - um den Bogen zu mainstreamtauglicher Kunst zu schlagen - Adele dringend den Takt vorgeben sollte. Das erlaubt man sich nur in der Literatur.
 
Wer also ist Herr über das Werk?
Meine geschätzte Kollegin Isabelle Schmidt-Egner hat in der Debatte darauf hingewiesen, dass zuallererst einmal der Autor in der Lage sein sollte, ein anständiges Buch zu schreiben. Sie meinte damit, dass neben dem künstlerisch-kreativen Genius, eben auch Schweiß, Fleiß und - jep! - solides Handwerk gefordert sind. Auch ich finde, jeder Autor sollte fähig sein, einen guten Text zu schreiben (auch wenn er noch optimierungsfähig sein mag, ordentlich muss man es alleine können).
Das relativiert sich, wenn sich (Verlags)Autoren damit brüsten, dass ihre Rohtexte mit "Millionen Adjektiven", "Logikbrüchen", "Schachtelsätzen", inkongruenten Charakteren und dergleichen mehr belastet wären, würde sich ihnen nicht ein Lektor annehmen und ein Buch daraus machen...
Hier besteht meiner Meinung nach dringender Bedarf für eine Abgrenzung zwischen "Lektor" und "Ghostwriter" oder gar "Co-Autor".
Ich denke wirklich, dieser Ruf nach einem Lektorat ist ein Stück weit Feigheit. Das erklärt auch die Emotionalität, mit der die Forderung verteidigt wird. Diese Hörigkeit gegenüber dem Lektorat ist Zeichen unserer bis zu Unverantwortlickeit verantwortungsscheuen Zeit. Wir wollen heute für alles Absolution, selbst für das, was wir uns von der Seele schreiben. Dumm nur, dass Lektoren auch nicht mutiger sind und deshalb vielerorts nach Checkliste vorgehen oder dem, was das Marketing sagt, soweit sie das nicht nebenbei auch machen. Der moderne Lektor ist vielseitig.
 
Lektorat! Oder alternativlos ins Verderben?
Ich persönlich schreibe meine Texte so gut ich kann. Ich korrigiere sie zweimal, filze sie auf meine geliebten Füllwörter und zähle Zeilen zwischen den Punkten auf der Jagd nach Schachtelsätzen. Dann lese ich sie mir möglichst am Stück laut vor. Und danach sind die gröbsten Schnitzer draußen. Lange bevor ich mein Werk irgendwem zum Lesen gebe.
"Trotzdem!", rufen die Lektorats-Fanatiker. Die Überarbeitung müsse unbedingt von professionellen Lektoren vorgenommen werden. Reservebankspieler wie etwa von den solcherart belehrten fahrlässigen Schreibern stammelnd vorgeschlagene andere Autoren oder Betaleser kämen nicht in Frage, weil die einen ja genauso unbeholfen und die anderen sowieso willenlose Nachplapperer seien, zumal sie zumeist aus der Familie rekrutiert würden.
Ah ja. Ich meine, die Debatte wurde auf Facebook geführt, da liest man ja wirklich jede abgefahrene Meinung, wenn man sich nur die Zeit nimmt. Aber die hier wird geglaubt?
 
Familie kann nicht kritisch sein.
Sagt mal, habt ihr alle keine Geschwister? Jeder Großinquisitor würde beschämt in der Ecke stehen, während Tränen der Demut über seine Wangen kullern, wenn er meiner Schwester beim Kritisieren meiner Arbeit zusehen dürfte. Jeglicher Arbeit. Was vor ihrem Auge Bestand hat, überdauert auch den atomaren Vernichtungsschlag. Das übrigens ist ein Grund, warum ich nicht mit Verwandtschaft arbeite. Ich bin hart, aber nicht masochistisch.
Die Behauptung, auch zartfühlendere Blutsverwandte seien nicht ehrlich, unterstellt jenen zudem, dass sie Sinn, Zweck und v.a. Tragweite ihrer Aufgabe nicht verstehen. Wer behauptet, ich würde einen Text nicht korrigieren, weil ich seinen Verfasser schonen wollte, unterstellt mir, dass ich ihn auch ohne Licht durch den Nebel fahren lasse würde, weil ich nicht möchte, dass er denkt, er könne nicht Autofahren.
Allein die Aussage, ein Autor könne aus eigener Kraft nur auf Freunde und Verwandte zurückgreifen, unterstellt einen derartigen Grad an Dilettantismus und sozialer Isolation, dass mir nichts mehr einfällt. In meiner Welt jedenfalls haben Freunde das Recht und die Pflicht (!), die Wahrheit zu sagen.
 
Autoren taugen nicht als Lektoren.
Zunächst mal kenne ich einige Verlagslektoren, die durchaus selbst auch schreiben.
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Doch auch wenn es stimmen würde, dass ein Autor bei seinen eigenen Texten nur Vollschrott produziert, dann wäre er doch als fachkundige  Leser ein wunderbarer Ersatzlektor! Einer, der sich intensiv und kritisch mit Texten befasst.
 
Hier verkennt man den Unterscheid zwischen "sehen" und "machen". Wenn Roger Federer, der lange Zeit unbestritten weltbeste Tennisspieler, natürlich einen Trainer bezahlt, so liegt das nicht daran, dass er es selbst nicht könnte (kann er, am Besten sogar), sondern daran, dass er betriebsblind ist.
Dass er auf Feedback in Bezug auf sein Tun, seine Wirkung angewiesen ist, um sich zu verbessern. Bloß, weil ich sehe, was mein Kollege falsch macht, weil ich spüre, wie man es besser machen könnte, heißt das nicht, dass ich es von vornherein allein besser gekonnt hätte. Oder auch nur genauso gut.

Auch das Argument der Bezahlung vermag nicht zu überzeugen. Denn wenn wir unterstellen, dass Autoren grundsätzlich lektorieren können, spricht doch nichts dagegen, dass sie sich gegenseitig lektorieren und so Zeit statt Barmittel einsetzen.
 
Betaleser sind kein Ersatz
Wirklich nicht? Nun ja, gewiss nicht auf dem Weg, wohl aber beim Ergebnis. Der Wert eines Betalesers hängt in hohem Maße von der Zielsetzung ab:
  • Will ich ein Buch für mich schreiben (egozentrierter Ansatz)?
  • Will ich damit Leser erreichen (kommunikativer Ansatz)?
  • Will ich damit Geld verdienen (kommerzieller Ansatz)?
  • Will ich die Literatur vorantreiben (künstlerischer Ansatz?) 
Beim ersten Ziel kann mir nur helfen, wer mich versteht. Beim letzten ist ein - entsprechend vorgebildeter - Lektor sicherlich das Mittel der Wahl. Bei den beiden anderen, würde ich zunächst immer auf Leser abstellen, denn ob ich mein Ziel erreiche, hängt von deren Entscheidung ab. Das ist auch nicht neu, sondern nennt sich in weniger emotionalen Branchen "Marktforschung" oder auch "Zielgruppenresonanz". Diese Fragen beantwortet meines Erachtens der Leser besser. Der nimmt nur den Text auf und überlegt nicht automatisch, warum das so oder so geschrieben wurde, was dies oder das zu sagen hat. Wohin damit der Plot gelenkt werden soll - oder aber nicht.
Sein erster Eindruck ist der ehrlichste in Bezug auf mein Buch. aber ist der erste Ansatz - wenn ein "technischer Fehler" den Leser nicht stört, ist es womöglich keiner.
Erst wenn mehrere Leser sagen, da stimmt was nicht, da hakt es - dann brauch ich den Fachblick, woran das liegen könnte... Speziell, wenn ich nicht weiterkomme.
Ich persönlich bezweifle, dass ein Lektor noch so lesen kann, wie es ein Leser tut. Das ist so wahrscheinlich wie ein Erwachsener, der etwas mit den Augen eines Kindes sehen will. Kann klappen, ist aber die Ausnahme. Entweder ich bin Fachmann - oder eben nicht.
Darum geht man ja auch nicht mit Fotografen, Physikern, Medizinern oder Gamern ins Kino. Die sehen Filme einfach ... anders. Aber ich schreibe doch für den Leser.
Das ist bei Verlagen übrigens anders. Die lassen primär für den Buchhändler schreiben, dem sie im ersten Schritt ihre Ware verticken müssen. Und da hat sich ein Bild von Lesegewohnheiten und dem antizipierten Lesergeschmack verfestigt, das ... nun ja ... nicht unbedingt deckungsgleich mit den tatsächlichen, sich zudem laufend ändernden Lesegewohnheiten der Basis ist.
Deshalb auch das Schielen nach ausländischen Lizenzen. Proof of concept. Wer hätte geglaubt, dass die Bücher von George R.R. Martin mit ihrem Handbücher füllenden Protagonistenaufgebot und dem steten Sterben von Identifikationsfiguren Bestseller werden? Kein Mensch. Aber mit einer US-Lizenz sieht das anders aus. Gut, der Erfolg der TV-Serie hat auch nicht geschadet. Während aber ein Lektor nicht weiß, was der Leser will, weiß er was der Zwischenhandel erwartet. Und von daher ist er - jedenfalls wenn man den Weg über die Buchhandlung nimmt - schon sehr, sehr wertvoll.

Woran entbrennt dann die Debatte?
 
Nicht jeder Lektor ist ein Lektor.
Nein! Lektoren, müssen Profis sein. Gelegenheitslektoren und Amateure wie "normale Leser" oder "Autoren" könnten keinesfalls die hehre Aufgabe erfüllen, die letzte Bastion zum Schutze des Abendlandes vor den illiteraten Horden von radebrechenden Wortdung tippenden Autoren zu halten. Deren Auswürfe müssen erst fachkundig aufbereitet und veredelt werden, bevor man sie unter das Volk bringen darf.
 
Leider war nicht herauszubekommen, was nun der vielfach vehement gefoderte "professionelle Lektor" ist. Professionell steht zuerst einmal für beruflich. Sagt der Duden. Das bedeutet, man macht es für Geld. Das ist natürlich zu kurz gegriffen. Der Autor braucht "gute Lektoren". Solche, die im Verlag arbeiten. Ah, da war es wieder, das Zauberwort. "Verlag"!

Dann sehen wir, was der Verlagslektor so im Gegensatz zum Dschungellektor treibt. Speziell in Bezug auf die Textüberarbeitung, denn wegen ihr sind wir ja unterwegs (sorry, ich hätte auch nicht erwartet, dass das so kompliziert wird).
Interessant ist, dass diese Herkulesaufgabe tatsächlich im modernen Berufsbild des Lektors nach der verbandseigenen Definition doch gleich an vorletzter Stelle kommt. Direkt vor "Sonstiges".
Selten habe ich einen "Beruf" untersucht, bei dem das Tätigkeitsbild so diffus ist. Wobei - das möchte ich betonen - die Anführungszeichen nicht mangelnden Respekt gegenüber der Tätigkeit ausdrücken sollen, sondern eben dem Umstand geschuldet sind, dass es Lektor als Beruf nicht gibt.
Im Verlag macht er einen krassen Job, ist Trendscout, Psychologe, Marketingexperte, Projektmanager und Qualitätssicherung in einem.
DAS kann und soll er natürlich im Umgang mit einem SP-Autor nicht tun. Der macht alles bis auf die QS selbst - oder sucht sich dafür andere Partner. So ein Rebell.
Fazit daher: Es ist richtig, dass sich ein Verlagslektor von einem Indie-Lektor unterscheidet. Aber das betrifft Tätigkeitsfelder, die nichts, gar nichts mit Qualitätskontrolle in Bezug auf die Texte zu tun hat.  Letztlich ergibt sich auch aus dem Statement des Teams um Karla Paul nichts anderes, als dass Lektoren natürlich Texte bearbeiten, aber eben noch viel, viel mehr machen.
Der Spagat auf der Schere
Die Dynamik einer Facebook-Debatte folgt eigenen Gesetzen und leider wird dort mehr noch als anderswo vom Ergebnis her diskutiert. So auch hier.
Zum Lektorat in Verlagen (weshalb Verlagsbücher die besseren Bücher seien):
  1. Auf das Argument, es gebe auch Verlage ohne Lektorat, hieß es sogleich, ein Verlag ohne Lektorat sei kein Verlag, sondern nur ein Dienstleister (damit wird einem missliebigen Argument durch Aussondern der Boden entzogen)
  2. ein schlechtes Lektorat im Verlag gebe nicht (da sind dann alles außer Tippfehler stilistisch nicht zu beanstandende Dinge in der Sparte "geht so" oder "nicht direkt falsch" - so angesehene Lektoren zu Textbeispielen)
  3. wenn's nicht geht, war es stilistisch gewollt (Kunst) oder aber der Autor unbelehrbar.
  4. Tippfehler können vorkommen. Niemand ist vollkommen
Umgekehrt hieß es bei den Indie-Titeln:
  1. ein Lektor ist kein Lektor, weil er kein Verlagslektor ist
  2. dein Stil ist schlecht (nix mit "geht so", "nicht direkt falsch"), weil du kein (gscheites) Lektorat hast
  3. Kunst und Indie schließen sich aus
  4. Tippfehler sind unverzeihlich und zeugen von mangelnden Deutschkenntnissen des Autors.
Genug! Widmen wir uns der Frage aller Fragen:
 
Was macht eigentlich ein Lektor im Lektorat?
Zunächst mal: Lesen! Daher kommt der Begriff auch. Vom Lateinischen "lgere" Lesen. Wobei dieses Lesen eine deutlich appellativere Prägung hatte, so wie heute auch noch Professoren "Lesungen" halten.
Mir hat bei Beck (jur. Lektorat) der Cheflektor gesagt, ein Lektor dürfe nur die Bälle ins Feld spielen. Verwandeln müsse sie der Autor selbst. Ich finde das sehr treffend. Und es zeigt, dass es eben auch andere Wege gibt. Ballmaschinen, Balljungen, andere Spieler ... mag alles nicht so gut sein, wie ein Trainer mit Ballgefühl, aber es geht und man kann zu guten Ergebnissen kommen.
 
Korrektorat
Ein Korrektorat ist die - da kann man wohl zaghaften Konsens feststellen - die elementarste Stufe der Textüberarbeitung. Es geht um das Ausmerzen von Tippfehlern, von Grammatikfehlern, die beim Umstellen passieren, um Wortwiederholungen und Endlossätze. Da der Autor weiß, was er geschrieben hat, liest er nicht mehr so gründlich. Es gibt Tricks, die eigene Textadaption auszutricksen, aber so gut wie einer, der den Text das erste Mal liest, wird er nicht sein. Ein Sprichwort, nicht nur in Autorenkreisen, besagt, dass man eigene Texte nicht korrigieren kann.
Tatsächlich bekommt man zwar mit modernen Rechtschreibprogrammen und Autorensoftware ziemlich gute Texte hin, doch auch ich finde, ein gutes, sorgfältiges Korrektorat kann man nicht ersetzen.
Und weiter?
 
Sprachliche Überarbeitung
Speziell wenn der Auftraggeber ein notwendigerweise gewinngetriebener Verlag ist, ist die Gefahr groß, dass ein Werk publikumstauglich optimiert wird.
Picasso hätte man auf die richtige Perspektive und die Sehgewohnheiten der Betrachter hingewiesen. Matisse gebeten, doch etwas mehr ins Detail zu gehen. Und die Maler hätten mit Blick auf ihren Traum. von ihrer Kunst leben zu können, vermutlich zugestimmt. Katastrophal, weil die Verbesserungen zwar handwerklich richtig, aber künstlerisch falsch gewesen wären.
Die Gefahr besteht, dass das Buch "barbiefiziert" wird. Es wird wie ein Modepüppchen zu glatt, zu perfekt, zu optimal gemacht. Es wird ... beliebig - und da hat man sich dann rechts überholt.
Bevor sich jetzt all die Grammatikschänder da draußen stolz in die Brust werfen und sich mit Großmeistern vergleichen - in den allermeisten Fällen verhungern Künstler mit einer gewissen Berechtigung. Kunst ist riskant. Aber Trash eben auch. Die Grenzen sind im Voraus schwer auszumachen.
 
Logik und Dramaturgie
Es ist im Nachhinein ziemlich schwer, eine festgefahrene Geschichte wieder flott zu machen. Besser ist es, erst gar nicht in den Graben zu fahren. Da kann ein "Lektor" gute Dienste leisten. Könnte. Denn üblicherweise geht ein Buch ins Lektorat, wenn es fertig geschrieben ist, wenn die Karre festsitzt. Deshalb übernehmen diese Phase des Lektorats auch bei den mir bekannten Verlagsautoren regelmäßig Kollegen, die man um Rat fragt, mit denen man nächtens Krisengespräche führt, die verstehen, wie das Gerippe einer Story zusammengesetzt sein muss.
Man bespricht sich mit der Familie, weil man stöhnt und seufzt und schlecht gelaunt ist - und das Umfeld wissen will, warum.
Man könnte in dem Zusammenhang wohl auch besser von Coaching als von Lektorat sprechen.
 
Lektorat - der Psychotherapeut der Geschichte?
Gerade, weil es keine Definition gibt, kann Lektorat alles sein. Ich habe den Vergleich in der Überschrift mit Bedacht gewählt.
Ein guter Therapeut wird versuchen, seinen Patienten mit den richtigen Fragen zu helfen, seinen eigenen Weg zu finden.
Ein schlechter Therapeut wird ihn dadurch zu dem von ihm als richtig empfundenen Weg treiben.
Ein sehr schlechter Therapeut wird dabei den falschen Weg einschlagen.
Oder dem Patienten einfach sagen, was er zu tun hat.
Wo ein Betaleser mir nur sagt, wie  der Text auf ihn wirkt, kann ein Lektor dies begründen (warum?). Er kann Tipps geben, wie man unerwünschte Wirkungen verhindern oder erwünschte herbeiführen kann. Das könnte ein Autor auch, aber er würde den Rat wohl mit "Ich an deiner Stelle..." beginnen und damit den Weg des schlechten Therapeuten einschlagen.
Ein guter Lektor hingegen ist, um im Bild zu bleiben, ein Mediator zwischen der Geschichte und ihrem Autor.
Der hierfür erforderliche Dialog setzt voraus, dass er auf einem gemeinsamen Verständnis in Bezug auf die Ziele und auch den Weg basiert. Die Kommunikation muss funktionieren. Und ich zumindest vertrete die These, dass der Lektor auch den Patienten und seinen Lebensraum, sprich in unserem Fall das Genre und die Zielgruppe, kennen muss, um wirklich zu optimieren. Hardboiled Science Fiction folgt anderen Leseerwartungen als Romantasy. Ich geh auch nicht zum Zahnarzt, wenn ich Schmerzen im Fuß habe. Und je mehr Erfahrung ich mit meinem Körper, anatomischen und physischen Zusammenhängen habe, desto eher werde ich den Fuß vielleicht auch nur hochlegen, kühlen oder mit einer Bandage stützen und am Ende nichts falsch gemacht haben.
Kunst ist keine DIN-normierte Materie. Literatur lebt und Geschichten sind individuell. Es werden niemals zwei Menschen dasselbe Buch lesen. Ich halte daher die von Frau Nentwich vertretene These, wonach ein Text lektoriert werden müsse, um bestmöglich zu sein, für falsch.
Ich glaube schon nicht, dass so die objektiv beste Geschichte entsteht, man kann auch über-überarbeiten und viele Köche verderben bisweilen den Brei. So wie ein guter Arzt heilen kann, kann ein schlechter Arzt töten. Manchmal kann sogar ein grundsätzlich guter Arzt Mist bauen. Es gibt also objektiv keine Garantie, nur statistische Wahrscheinlichkeiten.
Individuell hingegen hängt das Ergebnis in hohem Maße von Art und Umfang der Einflussnahme des Lektors ab. Was in der Diskussion zum Teil vertreten wurde, wonach aus den "unlesbaren" Fragmenten der Autoren erst unter der Federführung des Lektors ein Text entsteht, ist für mich nicht mehr mein Erfolg.
Ich habe auch nie verstanden, wie man auf einem Reitturnier sich sein Pferd vor der Prüfung vom Trainer abreiten lassen kann, um dann in der Prüfung zu glänzen und sich über einen Sieg zu freuen.


Fazit:
Ein Lektorat ist, das bestreitet niemand, ein grundsätzlich guter Weg, um zu einem besseren Text zu kommen. Es ist nicht notwendig ein Garant für einen guten Text. Und es ist - davon bin ich überzeugt - nicht der einzige Weg zu einem guten Buch.

Dienstag, 9. Februar 2016

Der Au-Tor III: Leck mich, Lektor! Von Schändern und Schindern


Underworld - Cailleann (www.deviantart.com)


Ich lese seit Tagen auf Facebook, auf diversen Blogs, auf Twitter und weiß der Henker wo sonst noch allerlei Sinn und Unsinn über die Schriftstellerei im Allgemeinen, über Abschreiben und Neu Schreiben, die ewig gleichen Grabenkämpfe zwischen Indie und Verlag und die Notwendigkeit von Lektoren. Und immer, wenn es endlich ruhiger wird, postet der nächste und das Karussell dreht sich erneut.

Ich habe, weil ich die Aufregung verstehen will – und ja, weil es mich auch ein bisschen (ziemlich) aufgeregt hat – mir das Drama mal in Ruhe angeschaut und versucht, etwas Ordnung hineinzubringen. Ganz unaufgeregt und gründlich. In vier Teilen, weil der Beitrag sonst zu lang wird.

-        1. Akt: Qualität kommt von Quälen!
-        3. Akt: Leck mich Lektor – von Schändern und Schindern.
4. Akt: Die Suche nach dem heikligen Gral oder auf der Jagd nach dem perfektenText.

Nachdem ich für mich zu dem Ergebnis gekommen bin, dass man bei "ähnlichen" Texten sorgfältig zwischen unvermeidlichen Ähnlichkeiten, zufälligen und den wenigen gewollten unzulässigen Plagiaten unterscheiden muss, nicht aber zwischen verschiedenen Autoren von Autoren (außer evtl. ehrlich/unehrlich) ging es weiter. Gerade als sich das Wasser wieder klarte und die Wogen geglättet waren, kam der nächste Bauchplatscher!

3. Akt: 
Leck mich, Lektor? Von Schändern und Schindern …

Ein mir bis zu diesem Zeitpunkt namentlich nicht bekannter Kollege aus dem Verlagslager griff das Lamento der #Ichschreibeselbst-Indies auf und erklärte sinngemäß in einem Blogbeitrag hämisch, dass man verstehen müsse, warum Self-Publisher abschrieben, denn sie könnten es selbst ja nicht besser und seien ja noch nicht einmal lektoriert. Das führte, vielleicht weil sich alle müde gekläfft hatten, zunächst nur zu einem halbherzigen "Ja genau, böse Legasthenie-Indies" oder einem nicht minder matten "Das ist ja jetzt billig." Szenekenner wiesen schließlich unter Quellenangabe darauf hin, dass der Urheber dieses Posts selbst - und zwar als Verlagsautor - Urheberrechtsverletzungen wegen verklagt worden sei und ein Urteil nur ausgeblieben sei, weil man sich zuvor durch Vergleich geeinigt habe.

Das wäre ein toller Epilog gewesen. Doch dieser Seitenhieb in Bezug auf vorgeblich fehlendes Lektorat bei Indies ließ einer anderen Autorin keine Ruhe. Und so postete sie unter dem Titel "Ich weigere mich!", dass ihre ersten (noch) selbst verlegten Bücher zwar nicht lektoriert aber deshalb noch lange nicht schlecht seien. Sie vertrat die These, dass es auch andere Wege gäbe, um einem Buch den erforderlichen Feinschliff zu geben.

Was darauf losbrach ist mit "Sturm im Wasserglas" auch nicht im Ansatz bildlich zu beschreiben. Kein Wunder, denn zu dem Zeitpunkt war nur noch so wenig Wasser im Becken, dass das unweigerlich in Schlamm-Catchen enden musste. Und so kam es auch.

Und was da nicht alles von mir bis dato für einigermaßen differenziert und des Lesens mächtig gehaltene Menschen zum Besten gegeben wurde. Es ging drunter und drüber, rauf und runter, die arme Sau, die da von den Schändern der deutschen Sprache und den Schindern freier Künstler durchs Dorf gescheucht wurde, kann jetzt am Iron Man mitmachen, ohne auch nur ins Schwitzen zu kommen. Wer sich je vor einer tollwütigen Hundemeute gefürchtet hat, möge sich vor Buchmenschen hüten. Die tun nur so friedlich.

Erst einmal fiel auf, dass der Großteil der Empörten den Ausgangspost nicht gelesen oder jedenfalls trotz einer an sich einfachen Botschaft nicht verstehen konnte oder wollte. Denn binnen Stunden drehte sich die aus dem Beitrag herauszulesende Frage "Ist es wirklich so, dass nur ein lektoriertes Buch ein gutes Buch sein kann?", zu "Braucht man professionelle Lektoren?", und landete im Sumpf der üblichen, mich persönlich unendlich ermüdenden Self-Publisher vs. Verlag-Debatten.

Indie-Barbaren aus dem Wald belagern die Verlagsburgen der Literatur !!!!


Burg Niedeggen I - Polloux TS (www.piqs.de)
Sollte man meinen. Seit den Hunnenüberfällen gab es kein solches Bibbern in den Skriptorien mehr. Wilde, wüst radebrechende Indies stürmen mit kruden Texten bewaffnet die Wälle oder entführen jungfräuliche Texte und geben sie als die ihren aus. Das Abendland gerät ins Wanken. Auch und gerade wegen des womöglich inflationären und zu einer dramatischen Interpunktions-Verknappung führenden Gebrauchs von Ausrufezeichen.

Woher kommt die Angst der Verlagsautoren vor den ohnehin nur langsam mutiger werdenden Indies? Ihr müsst euch nicht fürchten. Gehet hin und sehet - auch wenn ich persönlich es in den meisten Fällen nicht verstehe - so ist die weitaus überwiegende Zahl der frei herumspringenden SP-Autoren nur zu gerne bereit, es mit der anheimelnden Nestwärme zu versuchen, die ein Verlag immer noch verspricht. 

Auch die Herrin des 3. Aktes verkündet frohlockend und gewohnt vollmundig, dass sie inzwischen gleich mit mehreren Verlagen zusammenarbeitet und mit denen "geile Projekte" macht. Also auch sie ist gezähmt und eingeschert in den Kreis der Angepassten. Soll heißen, noch immer ist es aus Verlagssicht ein Nachfragemarkt. Wenn der Verlag einen Autor habenwill, wird er ihn in den meisten Fällen bekommen.


Verlag? Selfpublishing? Hybrid?



Es gibt gute und weniger gute Gründe für beide Modelle. Es ist wie mit E-Book und Print, Mac und PC oder Anstellung und Selbstständigkeit - immer haben beide Modelle ihre Vor- und Nachteile und am Ende ist es eine individuelle Entscheidung. Ich beobachte das bei Autoren seit Jahren und das Fazit meiner Überlegungen ist, dass es kein "entweder oder", sondern nur ein "kommt darauf an" geben kann. Es hängt von der Person des Autors, seinen Lebensumständen, seiner persönlichen Definition von Erfolg, seinem Buch und nicht zuletzt von den Konditionen beim Verlag ab. Es sollte eine Fall-zu-Fall-Entscheidung und keine Grundsatzdebatte sein.

Sicher ist aber, dass Verlag und SP sich nicht auf der Ebene der Qualität beharken müssen. Das ist, mit Verlaub, lächerlich. Es ist unter einem gewissen intellektuellen Anspruch meiner Meinung nach sogar peinlich, weil man damit unweigerlich der jeweils anderen Seite unterstellt, dass sie doof ist. Was - auch wenn das zu glauben angesichts der aktuellen Debatte schwer fällt - keine Partei ist.

Wir haben das gleiche Ziel: Gelesen werden. Von Lesern.


Von den Verkäufen und damit aus Lesersicht scheint die Unterscheidung zwischen SP und Verlag nicht getroffen zu werden. Dem Leser ist es im Großen und Ganzen schnuppe, ob sein Buch einen Stammbaum hat, solange es ihn unterhält. Der in beiden Lagern als seriöse Quelle anerkannten Selfpublisher-Bibel zufolge, sind die Amazon-Charts tendenziell von Indies und Verlagen gleichermaßen gut bestückt. Dabei ist die Kindle-Liste für E-Books klar von selbstpublizierten Titeln beherrscht, während die Prints in Verlagshand sind. 
  • Amazon ist - traurig aber wahr - derzeit die einzige Plattform, auf der SP und Verlagstitel gleichberechtigt gehandelt werden;
  • E-Books sind bei Verlagstiteln nach wie vor sehr teuer, deutlich teurer jedenfalls, als vergleichbare Indie-Titel - Leser neigen daher dazu, bei einer nur geringen Ersparnis dann doch lieber zum haptisch hochwertigeren Print-Buch zu greifen; 
  • viele SP-Autoren bieten keine Print-Bücher an, sodass auch das zu einer Verschiebung in den Charts führt.
Der Mehrheit der Leser ist es - das lässt sich herauslesen - herzlich egal, ob und ggf. welcher Verlag die Geschichte vorstellt. Und auch diejenigen, die vehement auf Verlagsbüchern bestehen, räumen ein, dass das auf die antizipierte Einschätzung zurückzuführen ist, bei einem Indie-Buch gutes Geld für handwerklichen Schund auszugeben. Oder dass sie eben bevorzugt Print aus dem Einzelhandel lesen und da sind einfach nach wie vor die Verlage vorn – aus logistischen, nicht aus qualitativen Gründen.
Tatsächlich reagieren die allermeisten Leser genervt auf diese Schlammschlachten, die am Ende noch hässliche Spritzer auf ihre geliebten Bücher werfen. Die meisten Leser finden es schön, wenn sich Autoren mögen. Vielleicht, weil selbst so viel in den Buchgruppen und Blogger-Gemeinden herumgezickt wird, gibt man sich dem Autor gegenüber harmoniebedürftig. Man freut sich, wenn Autoren Gemeinschaftsprojekte machen, sich gegenseitig empfehlen oder zusammen bei einem Meet & Greet aufschlagen. Gerade weil viele Bücherwürmer in ihrem natürlichen Lebensraum eher zu Einzelgängern werden, freuen sie sich, wenn sie auch mal eine Gang haben – auch wenn die dann einem Buchclub ähnelt. Autoren nehmen sie dabei als Idole ebenso wie als Dienstleister wahr und der Spagat gelingt am besten, wenn sie Freunde sind. So wie wir im wahren Leben auch zumeist froh sind, wenn sich die Freunde auch untereinander verstehen, so freut sich auch der Leser, wenn sich seine Autoren mögen, wenn von ihm keine „Entweder oder“-Entscheidung verlangt wird, die er weder treffen will, noch sachlich treffen muss. Leser nutzen sich nicht ab. Die stehen mehreren Autoren zur Verfügung. Immer wieder. Das ist toll! Machen wir was daraus.

Sind SP-Autoren wirklich die Schänder der Literatur?


Eine speziell von Verlagsautoren vertretene These lautet, dass man einem Buch schon auf den ersten Seiten seine niedere Herkunft ansähe. Der SP-Titel sei von schmuddeliger Ausdrucksweise, adjektivisch überfrachtet und wisse sich auch sonst - ebenso wie sein Autor - nicht zu benehmen.

Demgegenüber wurde mit einer gewissen Berechtigung eingewandt, dass man im Glashaus nicht mit Steinen werfen sollte. Unbestreitbar gäbe es auch viele Verlagstitel, die weder das StGB noch den Duden kennen und bei denen auch bei laienhafter Durchsicht jederzeit reichlich handwerkliches Verbesserungspotential festzustellen sei.

Dieser Einwand wurde innerhalb der Facebook-Debatte als unzulässig zurückgewiesen, denn ein Verlag, der seine Bücher nicht sauber lektoriere, sei "kein Verlag, sondern ein Dienstleister" – und damit nicht mehr Teil der Vergleichsmasse. Es ging sogar noch weiter: Eine Verlagsautorin betonte gar sinngemäß, dass die Verlage ja sähen, dass die Schmuddelbücher der SP-Autoren sich gut verkauften und es allein deshalb nun mit der (Sprach-)Hygiene auch nicht mehr so genau nähmen. Der Qualitätsverlust der Verlage sei also auf die SP-Bewegung zurückzuführen. Nein, keine Frage, so wie weiland die Hunnen das Abendland geißelten, so wird nun der Literaturbetrieb von diesen SP-Autoren geschändet.

Ich bot an dieser Stelle einen Versuch an. Kann man wirklich, so wie vielfach behauptet, anhand der Leseprobe eines Textes zuverlässig sagen, woher er stammt? Mit oder ohne „professionelles Lektorat“ von einem Self-Publisher oder einem (großen) Verlag? Trotz deutlicher Interessenbekundung auf allen Seiten wollte sich am Ende keiner darauf einlassen.

Die geradezu gebetsmühlenartig immer wieder vertretene These, ein (professionelles) Lektorat sei ein Merkmal für Verlagsbücher, wurde dann tatsächlich schnell von bekannten Lektoren widerlegt, die ihre professionellen Dienste eben auch für sie selbst beauftragende Autoren erbrächten. Viele von ihnen schreiben übrigens auch selbst, weshalb mich nicht überzeugt, warum sich Autoren dann nicht gegenseitig durch Lektoratsdienste erfolgreich unterstützen können sollen.

Zumindest an der "Tatsache", dass es kein erfolgreiches unlektoriertes SP-Buch gäbe, sei nicht zu rütteln.
Das ist eine kühne Behauptung, von der ich weiß, dass sie falsch ist. Ich würde vermittelnd sagen, die Wahrscheinlichkeit eines Verkaufserfolgs steigt mit der handwerklichen Qualität des Werkes. Bücher in den Top10 sind üblicherweise solide gearbeitet. Die Annahme, diese Qualität sei ein Beweis für ein Lektorat, ist ungefähr so richtig wie jene, dass ein schöner Kuchen von einem Konditor stammen muss. Möglich. Wahrscheinlich. Aber nicht unumstößlich.

Die Kontrahenten blieben schließlich an der Stelle im Schlamm stecken, an der es um eben jenes Lektorat ging. Ohne dieses soll ein Text unmöglich dem Leser zumutbar, geschweige denn gut sein. Ich möchte das im 4. Akt ausführlicher untersuchen.

Sind Lektoren die Schinder der freien Kunst?


Okay, das war jetzt Click-Bait. Diese provokante Frage wurde so nämlich gar nicht gestellt. Tatsächlich waren in diesem Teil des Dramas die Indies deutlich zahmer als die Verlagsleute. Vielleicht weil sie sich im ersten Akt, als es um Plagiate ging, ausgetobt hatten. Niemand hat ernsthaft das Potential eines seriösen (und ich schreibe bewusst seriös und nicht professionell!) Lektorat bestritten. Bestritten wurde jeweils die Behauptung,
  • es sei unmöglich (!) ohne Lektorat einen guten Text zu fabrizieren;
  • ein Autor sei außerstande, seinen Text selbst zu überarbeiten;
  • nur ein professioneller – verlagsbeauftragter – Lektor könne einem Text jenen Grad der Überarbeitung angedeihen lassen, den er benötige, um ein guter zu werden.
Von der Gegenseite wurde "Team Lektorat" in der an dieser Stelle mit viel Gespritze und Gekreische geführten Debatte den Lektoren eine gewisse Übergriffigkeit vorgeworfen – und zwar speziell den Verlagslektoren. Klar, denn ein unzufriedener Autor wird den von ihm selbst beauftragten Lektor das Buch wegnehmen. Das kann er beim Verlag nicht, wo er dem Lektor günstigenfalls auf Augenhöhe begegnet. So sollte es nicht sein, aber so ist es vielfach.

Es wurde bemäkelt, dass ein Buch geradezu mit der Brechstange auf vermutete Verkaufsförderung hin optimiert werde, was aber nicht notwendig künstlerisch eine Verbesserung darstelle. Oder umgekehrt (aber das eher selten). Es wurde beklagt, dass der Lektor und nicht der Autor das letzte Wort für sich beanspruche, und auch, dass die Grenzen zwischen Coach, Ghostwriter, Korrektor und Lektor offenbar gar nicht mehr bekannt oder jedenfalls in dieser Debatte erkennbar seien.

Dies zeigt, dass sich Autor, Verlag und Lektor über die Aspekte, unter denen die Qualität vorrangig zu beurteilen sei oder auch platter ausgedrückt die Zielgruppe des Endprodukts einig sein müssen, um ein "seriöses" Lektorat durchzuführen. Ich vertrete - die umstrittene - Ansicht, dass ein Hard-SciFi Roman von einem Genrekenner besser lektoriert wird als von einem sonst Young Adult lesenden Bearbeiter. Wenn ich Gespräche mit Kollegen Revue passieren lasse, scheint das Verhältnis zwischen Lektor und Autor in hohem Maße Vertrauenssache zu sein. Die Chemie muss stimmen, das Verständnis für die Geschichte und das Sprachgefühl kompatibel sein. Je näher man sich hier vom Start weg ist, desto besser wird das Lektorat.

Ich komme zu dem vermittelnden Ergebnis, dass auch ein guter Lektor nicht für jedes Buch (und dessen Autor) gleich gut ist, dass es Blödsinn ist, beim Lektorat zwischen Verlag und SP zu unterscheiden, da Lektoren beide als Auftraggeber akzeptieren und schließlich dass, ein Lektorat ein bewährter Weg der Qualitätssicherung ist, für viele der naheliegendste und bequemste, aber objektiv betrachtet nicht der einzige.

Sachlich betrachtete Vor- und Nachteile eines Lektorats werden in dem Beitrag „Hic sunt lectores“ sehr schön vorgestellt.

Und so wenden wir uns ab von den besudelten Gestalten und sehen im nächsten - und vorerst letzten - Teil selbst, wohin uns die Jagd nach der Perfektion denn bringt.

Ich fürchte, die Ritter der Tafelrunde hatten es mit dem heiligen Gral einfacher.

Der Au-Tor II: Die Übereinstimmung – Zufall, Unfall oder Überfall?



Be unique - Thomas Leth-Olsen (www.piqs.de)

Ich lese seit Tagen auf Facebook, auf diversen Blogs, auf Twitter und weiß der Henker wo sonst noch allerlei Sinn und Unsinn über die Schriftstellerei im Allgemeinen, die ewig gleichen Grabenkämpfe zwischen Indie und Verlag, die Kunst der Einzigartigkeit und die Notwendigkeit von Lektoren. Und immer, wenn es endlich ruhiger wird, postet der nächste und das Karussell dreht sich erneut.

Ich habe, weil ich die Aufregung verstehen will – und ja, weil es mich auch ein bisschen (ziemlich) aufgeregt hat – mir das Drama mal in Ruhe angeschaut und versucht, etwas Ordnung hineinzubringen. Ganz unufgeregt. In vier Teilen, weil der Beitrag sonst zu lang wird.
2. Akt: Die Übereinstimmung – Zufall, Unfall, Überfall? 
3. Akt: Leck mich Lektor – von Schändern und Schindern. 
4. Akt: Die Suche nach dem heikligen Gral oder auf der Jagd nach dem perfekten Text.  

2. Akt:
Die Übereinstimmung – Zufall, Unfall oder Überfall?

Das Drama begann damit, dass eine Autorin quasi in flagranti dabei erwischt wurde, bei ihren neueren Werken von Cora-Heftchen abgeschrieben zu haben und zwar sehr weitgehend. Eine sauber recherchierte und sachliche Übersicht über diesen Fall gibt Myra Cakan.

Der Shitstorm, der daraufhin ausbrach, war beängstigend. Ehrlich, Martin Scorsese würde die Verfilmung wegen zu großer Brutalität ablehnen. Mich interessierten an dieser Stelle des Dramas dagegen zwei Dinge, nämlich einmal ganz sachlich, woher diese Empörung stammt und dann, wann eine Empörung über Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen auch berechtigt ist. Doch der Reihe nach: 

Empörte Motive

Wenn man früher in der Schule beim Abschreiben erwischt wurde, war das eine schlimme Sache. Der Lehrer hielt einem eine Standpauke, die Note war futsch und blamiert war man auch noch - und zwar bis auf die Knochen. Darin ähneln sich Schüler und Autoren. Der Verlag droht mit Anwalt, statt der Schulnoten ist man jetzt der Banknoten verlustig und ja - der Ruf ist ramponiert.

Aber egal, ob die anderen Schüler heimlich feixend ihre Schadenfreude genossen, sich erleichtert, selbst nicht erwischt worden zu sein, über ihr Blatt duckten oder das gute Gewissen genossen, doch lieber aus eigener Kraft zu schreiben - sie alle verhielten sich ruhig. Es gab keine Beschwerden und Pöbeleien, wie man denn nur Abschreiben könne, pfui, pfui, pfui!  Stellt euch das im Klassenzimmer vor. Ein geradewegs grotesker Gedanke.

Bei Autoren ist das leider anders. Die Leser nahmen es gelassen, akzeptierten die Entschuldigung und wollten in den Lesesessel zurück. Auch der um seine Einnahmen betrogene Verlag äußerte sich nicht öffentlich. Es waren Autoren, die mit Hashtags wie #Ichschreibeselbst oder #ichbinmeineGeschichte die Hetzjagd eröffneten.

Warum? Was wirft das für ein Licht auf unsere Zunft, wenn man betonen muss, dass man selbst schreibt? Klebe ich mir nach jeder Nachricht über eine Trunkenheitsfahrt einen Sticker aufs Auto: „Ich fahre nüchtern?“ Was soll damit bezweckt werden? Was bringt es uns, da solange darüber zu zetern, bis auch der letzte Leser hinter seinem Buchregal hervorgelockt wird, um nachzusehen, was da womöglich schief gelaufen ist? Warum soll sich eine ganze Zunft eines Missgriffs rechtfertigen? 

Oder vielmehr - und das ist signifikant - die Hälfte... jene Hälfte nämlich, die verlagsfrei als Indie oder SP-Autor veröffentlicht. "Da hat die Autorin uns aber alle ganz schon in Verruf gebracht", hob das Klagen allenthalben an. Wohlgemerkt aus der Indie-Ecke mit erstaunlicher Betriebsblindheit, denn weder war zu diesem Zeitpunkt aus dem Verlagslager zum Halali geblasen worden, noch hätte man das sehr ernst nehmen müssen, denn die besagte Autorin frohlockte ja seit Monaten, dass sie nunmehr Verlagsautorin geworden sei.

So aber entstand gerade durch die vielfach öffentlich gepostete Befürchtung einer Hexenjagd der Eindruck, dass tatsächlich SP viel eher Hexenwerk - pardon eine Fingerübung in Copy and Paste - sei, als seriöse Verlagswerke.

Eine These, die zu doof ist, um auch nur kommentiert zu werden, auch wenn Verlagsautoren den Ball aufnehmen und Indies nicht nur pauschal als Abschreiber darstellen, sondern auch noch als E-Book-Piraten (was mich dann doch erbost).

Pikant in diesem Zusammenhang, dass es in Sachen Urheberrecht auch sehr seriöse Verlagsunternehmen wie Holtzbrinck mit seiner Tochter epubli nicht so genau nehmen und schon mal ein paar Jahre ohne entsprechende Lizenz fremde Werke unter eigenem Namen weiter vertreiben.

Oder auch der neue Skandal, bei dem eine Autorin, die bei einem Imprint eines großen Verlags untergekommen ist, die beim Haupthaus verlegten Mangas so detailgetreu in Fließtext umsetzte, dass das betreffende Buch inzwischen vom Markt genommen und der Autoriin fristlos gekündigt wurde. Besondere Ironie erhält dieser Fall dadurch, dass - glaubwürdigen Quellen zufolge - Hannah Ben sich zuvor an der allgemeinen Empörung und den #Ichbinehrlich-Hashtags aktiv beteiligt hat.

Verlage sind nur nicht so dämlich, da so ein Aufheben darum zu machen. Die mahnen sich heimlich still und leise ab, zahlen sich gegenseitig Vertragsstrafen und halten die Fresse. 

Darum springt auch keiner wirklich darauf an, dass die "Tribute von Panem" nicht rechtlich, aber wohl moralisch schon sehr auffällige Übereinstimmungen mit "Running Man" von Richard Bachman, der Stephen King ist, hat, das seinerseits wiederum von Clark Darltons Klassiker "Todesschach" beeinflusst wurde, dem Frau Collins wieder deutlich näher rückt, als der bekanntere Bachman-Klassiker. Sie selbst bekennt sich übrigens laut Wikipedia dazu, von der griechischen Mythologie (Minotaurus im Labyrinth) und römischen Geschichte (Spartacus) beeinflusst zu sein.

Egal, denn ... alle mal durchatmen ...

Ähnlichkeiten sind unvermeidlich!

Das heißt nicht, dass ich Plagiate und Ideenklau befürworte. Ich denke nur, dass man jetzt nicht beim Planschen das Kinde mit dem Bade ausschütten sollte. 

Die Frage, wie viele Plots es gibt, wird nicht ganz einheitlich beantwortet. Extremisten, sagen einen, Puristen sagen drei (es geht gut aus, es geht schlecht aus, die Frage bleibt offen), die größte Menge pendelt bei über 70, aber alle sind sich einig - die Zahl denkbarer Geschichten ist endlich und eigentlich deprimierend überschaubar. Die sind übrigens alle schon verbraucht. Mehrfach. Und nun?

Nun gut, bloß weil andere vor mir mit Salz und Wasser kochen, wandle ich meine Rezepte auch nicht ab. 

Sooooo schlimm ist das also vielleicht gar nicht. Kaum jemand hat sich bislang bei der Lektüre von "Dornröschen" beschwert, dass der Plot aber wirklich bis ins Detail identisch mit der deutlich herberen Interpretation durch Siegfried und Brunhild in der Nibelungensage ist. Oder Shakespeare, der bei "Romeo und Julia" eindeutig Pyramus und Thiesbe aus Ovids Metamorphosen vor seinem inneren Auge hatte.

Letztlich stehen uns allen nur beliebige Kombinationen der immer gleichen 26 Buchstaben zur Verfügung.

Der allseits beliebte Terry Pratchett als Großmeister der Variation eines Themas hat in seinem gesamten Werk kaum je einen Plot selbst entwickelt. Von Shakespeare über Goethe und Zeitgeschichte wie das Kennedy-Attentat hat er große und bewährte Motive übernommen und doch zu etwas wundervollem, ganz und gar eigenem gemacht. Er kochte mit Wasser und Salz - und seiner Fantasie. Ich liebe ihn. Und ich finde und fand, im sittlichen Rahmen ist eine Anspielung, ein Zitat, das Aufgreifen von Motiven schon immer die ehrlichste Form eines Kompliments an meine Vorbilder. 

Wann aber ist dann die Grenze zum rechtlich verwerfbaren Abschreiben überschritten?

Mit Justitias Augen

Rechtlich ist das Plagiat natürlich vom Zitat und von der Anspielung ebenso zu unterscheiden wie von der schwer zu greifenden Inspiration.

Das belletristische Abschreiben ist im Wesentlichen im Urheberrecht geregelt, ggf. auch im allgemeinen Strafrecht, etwa in § 263 StGB (Betrug). Das Plagiat bestand dabei in den genannten Fällen in der nahezu wörtlichen Übernahme fremder Texte ("Werke") ohne entsprechende Kennzeichnung und Verweis auf den eigentlichen Urheber. Der intellektuelle Kopierschutz greift durchaus (und die Urheberrechtsoffensive, die ich im ersten Teil erwähnt hatte, wendet sich eher gegen die Lizenznehmer, also im Buchfall die Verlage).

Etwas anderes wäre es, wenn eine ausreichende kreative Eigenleistung hinter dem Endprodukt steht. Damit ist der "Ideenklau" zwar je nach Intensität moralisch verwerflich, aber rechtlich zulässig.

Warum? Das liegt nicht daran, dass Juristen doof sind oder lax, sondern an der Beweisbarkeit; weil man eine Idee kaum greifen kann, weder in Bezug auf die Frage, wer sie nun von wem geklaut hat, denn theoretisch könnten ja auch zwei (fast) dieselbe Idee zeitgleich haben, noch in Bezug auf die Abgrenzung. Denn wann ist eine Idee nur ähnlich und nicht mehr gleich? 

Moral ist etwas, das man nicht in Gesetze gießen kann, die insoweit immer nur den kleinsten gemeinsamen Nenner verteidigen wollen und - so der ursprüngliche rechtsethische Gedanke - nur das verbieten wollen, was für die Gemeinschaft völlig unannehmbar ist. Wenn ein Plagiator tatsächlich annähernd wortwörtlich Formulierungen übernimmt und nicht nur eine Idee mit eigenen Worten nacherzählt, ist diese Grenze überschritten und Justitia greift zum Schwert. Was mich wieder zum Entrüstungsblubbern in den oben genannten Fällen bringt. Da wurde offenbar richtig abgekupfert und das ist nicht okay, weshalb die Werke auch eingezogen sind.

Keep it simple - Become uniform

In der Wissenschaft hat man zudem seit Langem das Problem, dass z.B. Rechtstexte sich aus gutem Grund sehr eng an dem Gesetzestext orientieren. Es handelt sich um eine so stark formalisierte Fachsprache, dass da einer für den Erwerb von Urheberrechten erforderlichen kreativen Eigenleistung kaum Spielraum bleibt.

Dahin bewegt sich nun leider auch die Belletristik, bei der Forderung vieler Verlage nach einer möglichst einfachen Sprache mit schlichten "Subjekt, Prädikat, Objekt"-Konstruktionen ohne Nebensätze, bevorzugt noch in der ersten Person Präsens. Generation SMS soll uns ja verstehen. Damit werden aber z.B. banale Dialoge, die eben doch erforderlich sind, unweigerlich sehr ähnlich. Wir Autoren dürften heute auf die Frage, ob wir womöglich verschlafen haben, nicht vom Biorhythmus der Nachtigallen und Lerchen erzählen, wie weiland Romeo und Julia. Der von den meisten Lektoraten als Limbolatte angesetzte DAL (Dümmst anzunehmende Leser) wüsste vermutlich schon nicht, was das für Viecher sind, geschweige denn, wann sie schlafen. "Scheiße, wie spät ist es denn?" findet also deutlich wahrscheinlicher Gefallen. Auch wenn da die Kreativleistung notgedrungen überschaubar ist.

Einfachheit führt zur Einheitlichkeit

Klarer Fall, auch die Wortkontrolle, die Amazon für E-Books einführen will, reduziert den Sprachschatz auf das Niveau der Rechtschreibehilfe von MS Word. A. Burgess oder Arno Schmidt hätten dann mit ihren innovativen, guten und wegweisenden, aber fraglos den Leser fordernden Werken keine Chance mehr.

Das heißt, die Werke werden einander unweigerlich ähnlicher.

Innovation – aber nur in Maßen

Hinzukommt, dass in gewissen Genres der Leser geradezu erwartet, dass der Plot in definierten Bahnen verläuft. Happyend vorprogrammiert. So wie James Bond natürlich die Welt rettet und lediglich offen ist, wie er es anstellt. Schlenker sind anstrengend. Literarische Hausmannskost liegt im Trend.

Naturgemäß beschränkt diese Forderung den erzählerischen Spielraum und macht Übereinstimmungen unvermeidlich. Die Leser wollen das und als brave Dienstleister liefern wir Autoren. Manche, wie etwa die in festen Schemata schreibenden "Groschenheft-Autoren" (vor denen ich persönlich allergrößten Respekt habe!), eher mehr, schneller und besser. Manche, speziell die mit mehr künstlerischer Attitüde eher weniger.

Doch auch das ändert sich.

Klare Grenzen, aber keine Gräben

Durch die leidige Plagiatsgeschichte sind die Leser nervös geworden und suchen förmlich nach Wiederholungen. Krampfhaft.
Die sie - siehe oben - unvermeidlich finden werden.
Er hat sie geküsst!
Echt jetzt?! Das haben die bei X auch schon!
Ja. Vermutlich gibt es dazu auch schon Höhlenmalereien.
Einer Autorin wurde gar vorgeworfen von sich selbst (sic!) abgeschrieben zu haben, als sie einem Protagonisten eines anderen Buchs einen Cameo-Auftritt in ihrem aktuellen Werk verschaffte. Kein Grund, sich aufzuregen. Oder doch?

Ich persönlich bedaure, dass der Literaturbetrieb nach immer größerer Konformität verlangt und würde mir vor allem als Leser mehr unangepasste, schräge, mutige Geschichten wünschen. Die Stereotypen der Genres, die simplifizierte Sprache erklären Ähnlichkeiten, die natürlich zur "Arbeitserleichterung" verleiten. Sie sind keine Entschuldigung für Abschreiben. Aber ich würde mir wünschen, dass man jetzt nicht im Eifer dem künstlich aufgeputschten Zorn noch weiter Futter zu geben, nicht zu tief gräbt und alle Ähnlichkeiten, Anspielungen, Seitenhiebe und Zitate zu kriminalisieren.


Gerade als sich das Wasser wieder klarte und die Wogen geglättet waren, kam der nächste Bauchplatscher! 

Der dritte Akt, die Lektoratskrise ...