Dienstag, 9. Februar 2016

Der Au-Tor II: Die Übereinstimmung – Zufall, Unfall oder Überfall?



Be unique - Thomas Leth-Olsen (www.piqs.de)

Ich lese seit Tagen auf Facebook, auf diversen Blogs, auf Twitter und weiß der Henker wo sonst noch allerlei Sinn und Unsinn über die Schriftstellerei im Allgemeinen, die ewig gleichen Grabenkämpfe zwischen Indie und Verlag, die Kunst der Einzigartigkeit und die Notwendigkeit von Lektoren. Und immer, wenn es endlich ruhiger wird, postet der nächste und das Karussell dreht sich erneut.

Ich habe, weil ich die Aufregung verstehen will – und ja, weil es mich auch ein bisschen (ziemlich) aufgeregt hat – mir das Drama mal in Ruhe angeschaut und versucht, etwas Ordnung hineinzubringen. Ganz unufgeregt. In vier Teilen, weil der Beitrag sonst zu lang wird.
2. Akt: Die Übereinstimmung – Zufall, Unfall, Überfall? 
3. Akt: Leck mich Lektor – von Schändern und Schindern. 
4. Akt: Die Suche nach dem heikligen Gral oder auf der Jagd nach dem perfekten Text.  

2. Akt:
Die Übereinstimmung – Zufall, Unfall oder Überfall?

Das Drama begann damit, dass eine Autorin quasi in flagranti dabei erwischt wurde, bei ihren neueren Werken von Cora-Heftchen abgeschrieben zu haben und zwar sehr weitgehend. Eine sauber recherchierte und sachliche Übersicht über diesen Fall gibt Myra Cakan.

Der Shitstorm, der daraufhin ausbrach, war beängstigend. Ehrlich, Martin Scorsese würde die Verfilmung wegen zu großer Brutalität ablehnen. Mich interessierten an dieser Stelle des Dramas dagegen zwei Dinge, nämlich einmal ganz sachlich, woher diese Empörung stammt und dann, wann eine Empörung über Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen auch berechtigt ist. Doch der Reihe nach: 

Empörte Motive

Wenn man früher in der Schule beim Abschreiben erwischt wurde, war das eine schlimme Sache. Der Lehrer hielt einem eine Standpauke, die Note war futsch und blamiert war man auch noch - und zwar bis auf die Knochen. Darin ähneln sich Schüler und Autoren. Der Verlag droht mit Anwalt, statt der Schulnoten ist man jetzt der Banknoten verlustig und ja - der Ruf ist ramponiert.

Aber egal, ob die anderen Schüler heimlich feixend ihre Schadenfreude genossen, sich erleichtert, selbst nicht erwischt worden zu sein, über ihr Blatt duckten oder das gute Gewissen genossen, doch lieber aus eigener Kraft zu schreiben - sie alle verhielten sich ruhig. Es gab keine Beschwerden und Pöbeleien, wie man denn nur Abschreiben könne, pfui, pfui, pfui!  Stellt euch das im Klassenzimmer vor. Ein geradewegs grotesker Gedanke.

Bei Autoren ist das leider anders. Die Leser nahmen es gelassen, akzeptierten die Entschuldigung und wollten in den Lesesessel zurück. Auch der um seine Einnahmen betrogene Verlag äußerte sich nicht öffentlich. Es waren Autoren, die mit Hashtags wie #Ichschreibeselbst oder #ichbinmeineGeschichte die Hetzjagd eröffneten.

Warum? Was wirft das für ein Licht auf unsere Zunft, wenn man betonen muss, dass man selbst schreibt? Klebe ich mir nach jeder Nachricht über eine Trunkenheitsfahrt einen Sticker aufs Auto: „Ich fahre nüchtern?“ Was soll damit bezweckt werden? Was bringt es uns, da solange darüber zu zetern, bis auch der letzte Leser hinter seinem Buchregal hervorgelockt wird, um nachzusehen, was da womöglich schief gelaufen ist? Warum soll sich eine ganze Zunft eines Missgriffs rechtfertigen? 

Oder vielmehr - und das ist signifikant - die Hälfte... jene Hälfte nämlich, die verlagsfrei als Indie oder SP-Autor veröffentlicht. "Da hat die Autorin uns aber alle ganz schon in Verruf gebracht", hob das Klagen allenthalben an. Wohlgemerkt aus der Indie-Ecke mit erstaunlicher Betriebsblindheit, denn weder war zu diesem Zeitpunkt aus dem Verlagslager zum Halali geblasen worden, noch hätte man das sehr ernst nehmen müssen, denn die besagte Autorin frohlockte ja seit Monaten, dass sie nunmehr Verlagsautorin geworden sei.

So aber entstand gerade durch die vielfach öffentlich gepostete Befürchtung einer Hexenjagd der Eindruck, dass tatsächlich SP viel eher Hexenwerk - pardon eine Fingerübung in Copy and Paste - sei, als seriöse Verlagswerke.

Eine These, die zu doof ist, um auch nur kommentiert zu werden, auch wenn Verlagsautoren den Ball aufnehmen und Indies nicht nur pauschal als Abschreiber darstellen, sondern auch noch als E-Book-Piraten (was mich dann doch erbost).

Pikant in diesem Zusammenhang, dass es in Sachen Urheberrecht auch sehr seriöse Verlagsunternehmen wie Holtzbrinck mit seiner Tochter epubli nicht so genau nehmen und schon mal ein paar Jahre ohne entsprechende Lizenz fremde Werke unter eigenem Namen weiter vertreiben.

Oder auch der neue Skandal, bei dem eine Autorin, die bei einem Imprint eines großen Verlags untergekommen ist, die beim Haupthaus verlegten Mangas so detailgetreu in Fließtext umsetzte, dass das betreffende Buch inzwischen vom Markt genommen und der Autoriin fristlos gekündigt wurde. Besondere Ironie erhält dieser Fall dadurch, dass - glaubwürdigen Quellen zufolge - Hannah Ben sich zuvor an der allgemeinen Empörung und den #Ichbinehrlich-Hashtags aktiv beteiligt hat.

Verlage sind nur nicht so dämlich, da so ein Aufheben darum zu machen. Die mahnen sich heimlich still und leise ab, zahlen sich gegenseitig Vertragsstrafen und halten die Fresse. 

Darum springt auch keiner wirklich darauf an, dass die "Tribute von Panem" nicht rechtlich, aber wohl moralisch schon sehr auffällige Übereinstimmungen mit "Running Man" von Richard Bachman, der Stephen King ist, hat, das seinerseits wiederum von Clark Darltons Klassiker "Todesschach" beeinflusst wurde, dem Frau Collins wieder deutlich näher rückt, als der bekanntere Bachman-Klassiker. Sie selbst bekennt sich übrigens laut Wikipedia dazu, von der griechischen Mythologie (Minotaurus im Labyrinth) und römischen Geschichte (Spartacus) beeinflusst zu sein.

Egal, denn ... alle mal durchatmen ...

Ähnlichkeiten sind unvermeidlich!

Das heißt nicht, dass ich Plagiate und Ideenklau befürworte. Ich denke nur, dass man jetzt nicht beim Planschen das Kinde mit dem Bade ausschütten sollte. 

Die Frage, wie viele Plots es gibt, wird nicht ganz einheitlich beantwortet. Extremisten, sagen einen, Puristen sagen drei (es geht gut aus, es geht schlecht aus, die Frage bleibt offen), die größte Menge pendelt bei über 70, aber alle sind sich einig - die Zahl denkbarer Geschichten ist endlich und eigentlich deprimierend überschaubar. Die sind übrigens alle schon verbraucht. Mehrfach. Und nun?

Nun gut, bloß weil andere vor mir mit Salz und Wasser kochen, wandle ich meine Rezepte auch nicht ab. 

Sooooo schlimm ist das also vielleicht gar nicht. Kaum jemand hat sich bislang bei der Lektüre von "Dornröschen" beschwert, dass der Plot aber wirklich bis ins Detail identisch mit der deutlich herberen Interpretation durch Siegfried und Brunhild in der Nibelungensage ist. Oder Shakespeare, der bei "Romeo und Julia" eindeutig Pyramus und Thiesbe aus Ovids Metamorphosen vor seinem inneren Auge hatte.

Letztlich stehen uns allen nur beliebige Kombinationen der immer gleichen 26 Buchstaben zur Verfügung.

Der allseits beliebte Terry Pratchett als Großmeister der Variation eines Themas hat in seinem gesamten Werk kaum je einen Plot selbst entwickelt. Von Shakespeare über Goethe und Zeitgeschichte wie das Kennedy-Attentat hat er große und bewährte Motive übernommen und doch zu etwas wundervollem, ganz und gar eigenem gemacht. Er kochte mit Wasser und Salz - und seiner Fantasie. Ich liebe ihn. Und ich finde und fand, im sittlichen Rahmen ist eine Anspielung, ein Zitat, das Aufgreifen von Motiven schon immer die ehrlichste Form eines Kompliments an meine Vorbilder. 

Wann aber ist dann die Grenze zum rechtlich verwerfbaren Abschreiben überschritten?

Mit Justitias Augen

Rechtlich ist das Plagiat natürlich vom Zitat und von der Anspielung ebenso zu unterscheiden wie von der schwer zu greifenden Inspiration.

Das belletristische Abschreiben ist im Wesentlichen im Urheberrecht geregelt, ggf. auch im allgemeinen Strafrecht, etwa in § 263 StGB (Betrug). Das Plagiat bestand dabei in den genannten Fällen in der nahezu wörtlichen Übernahme fremder Texte ("Werke") ohne entsprechende Kennzeichnung und Verweis auf den eigentlichen Urheber. Der intellektuelle Kopierschutz greift durchaus (und die Urheberrechtsoffensive, die ich im ersten Teil erwähnt hatte, wendet sich eher gegen die Lizenznehmer, also im Buchfall die Verlage).

Etwas anderes wäre es, wenn eine ausreichende kreative Eigenleistung hinter dem Endprodukt steht. Damit ist der "Ideenklau" zwar je nach Intensität moralisch verwerflich, aber rechtlich zulässig.

Warum? Das liegt nicht daran, dass Juristen doof sind oder lax, sondern an der Beweisbarkeit; weil man eine Idee kaum greifen kann, weder in Bezug auf die Frage, wer sie nun von wem geklaut hat, denn theoretisch könnten ja auch zwei (fast) dieselbe Idee zeitgleich haben, noch in Bezug auf die Abgrenzung. Denn wann ist eine Idee nur ähnlich und nicht mehr gleich? 

Moral ist etwas, das man nicht in Gesetze gießen kann, die insoweit immer nur den kleinsten gemeinsamen Nenner verteidigen wollen und - so der ursprüngliche rechtsethische Gedanke - nur das verbieten wollen, was für die Gemeinschaft völlig unannehmbar ist. Wenn ein Plagiator tatsächlich annähernd wortwörtlich Formulierungen übernimmt und nicht nur eine Idee mit eigenen Worten nacherzählt, ist diese Grenze überschritten und Justitia greift zum Schwert. Was mich wieder zum Entrüstungsblubbern in den oben genannten Fällen bringt. Da wurde offenbar richtig abgekupfert und das ist nicht okay, weshalb die Werke auch eingezogen sind.

Keep it simple - Become uniform

In der Wissenschaft hat man zudem seit Langem das Problem, dass z.B. Rechtstexte sich aus gutem Grund sehr eng an dem Gesetzestext orientieren. Es handelt sich um eine so stark formalisierte Fachsprache, dass da einer für den Erwerb von Urheberrechten erforderlichen kreativen Eigenleistung kaum Spielraum bleibt.

Dahin bewegt sich nun leider auch die Belletristik, bei der Forderung vieler Verlage nach einer möglichst einfachen Sprache mit schlichten "Subjekt, Prädikat, Objekt"-Konstruktionen ohne Nebensätze, bevorzugt noch in der ersten Person Präsens. Generation SMS soll uns ja verstehen. Damit werden aber z.B. banale Dialoge, die eben doch erforderlich sind, unweigerlich sehr ähnlich. Wir Autoren dürften heute auf die Frage, ob wir womöglich verschlafen haben, nicht vom Biorhythmus der Nachtigallen und Lerchen erzählen, wie weiland Romeo und Julia. Der von den meisten Lektoraten als Limbolatte angesetzte DAL (Dümmst anzunehmende Leser) wüsste vermutlich schon nicht, was das für Viecher sind, geschweige denn, wann sie schlafen. "Scheiße, wie spät ist es denn?" findet also deutlich wahrscheinlicher Gefallen. Auch wenn da die Kreativleistung notgedrungen überschaubar ist.

Einfachheit führt zur Einheitlichkeit

Klarer Fall, auch die Wortkontrolle, die Amazon für E-Books einführen will, reduziert den Sprachschatz auf das Niveau der Rechtschreibehilfe von MS Word. A. Burgess oder Arno Schmidt hätten dann mit ihren innovativen, guten und wegweisenden, aber fraglos den Leser fordernden Werken keine Chance mehr.

Das heißt, die Werke werden einander unweigerlich ähnlicher.

Innovation – aber nur in Maßen

Hinzukommt, dass in gewissen Genres der Leser geradezu erwartet, dass der Plot in definierten Bahnen verläuft. Happyend vorprogrammiert. So wie James Bond natürlich die Welt rettet und lediglich offen ist, wie er es anstellt. Schlenker sind anstrengend. Literarische Hausmannskost liegt im Trend.

Naturgemäß beschränkt diese Forderung den erzählerischen Spielraum und macht Übereinstimmungen unvermeidlich. Die Leser wollen das und als brave Dienstleister liefern wir Autoren. Manche, wie etwa die in festen Schemata schreibenden "Groschenheft-Autoren" (vor denen ich persönlich allergrößten Respekt habe!), eher mehr, schneller und besser. Manche, speziell die mit mehr künstlerischer Attitüde eher weniger.

Doch auch das ändert sich.

Klare Grenzen, aber keine Gräben

Durch die leidige Plagiatsgeschichte sind die Leser nervös geworden und suchen förmlich nach Wiederholungen. Krampfhaft.
Die sie - siehe oben - unvermeidlich finden werden.
Er hat sie geküsst!
Echt jetzt?! Das haben die bei X auch schon!
Ja. Vermutlich gibt es dazu auch schon Höhlenmalereien.
Einer Autorin wurde gar vorgeworfen von sich selbst (sic!) abgeschrieben zu haben, als sie einem Protagonisten eines anderen Buchs einen Cameo-Auftritt in ihrem aktuellen Werk verschaffte. Kein Grund, sich aufzuregen. Oder doch?

Ich persönlich bedaure, dass der Literaturbetrieb nach immer größerer Konformität verlangt und würde mir vor allem als Leser mehr unangepasste, schräge, mutige Geschichten wünschen. Die Stereotypen der Genres, die simplifizierte Sprache erklären Ähnlichkeiten, die natürlich zur "Arbeitserleichterung" verleiten. Sie sind keine Entschuldigung für Abschreiben. Aber ich würde mir wünschen, dass man jetzt nicht im Eifer dem künstlich aufgeputschten Zorn noch weiter Futter zu geben, nicht zu tief gräbt und alle Ähnlichkeiten, Anspielungen, Seitenhiebe und Zitate zu kriminalisieren.


Gerade als sich das Wasser wieder klarte und die Wogen geglättet waren, kam der nächste Bauchplatscher! 

Der dritte Akt, die Lektoratskrise ...

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