Ich lese
seit Tagen auf Facebook, auf diversen Blogs, auf Twitter und weiß der Henker wo
sonst noch allerlei Sinn und Unsinn über die Schriftstellerei im Allgemeinen,
über Abschreiben und Neu Schreiben, die ewig gleichen Grabenkämpfe zwischen Indie und Verlag und die Notwendigkeit
von Lektoren. Und immer, wenn es endlich ruhiger wird, postet der nächste und
das Karussell dreht sich erneut.
Ich habe,
weil ich die Aufregung verstehen will – und ja, weil es mich auch ein bisschen
(ziemlich) aufgeregt hat – mir das Drama mal in Ruhe angeschaut und versucht,
etwas Ordnung hineinzubringen. Ganz unaufgeregt und gründlich. In vier Teilen, weil der
Beitrag sonst zu lang wird.
-
4.
Akt: Die Suche nach dem heikligen Gral oder auf der Jagd nach dem perfekten
Text.
4. Akt
Auf der Jagd nach Perfektion oder Die Suche nach dem heikligen Gral
Nochmals
möchte ich in Erinnerung rufen, dass keiner der Hauptakteure und Komparsen in
diesem Drama zu irgendeinem Zeitpunkt behauptet hat, dass man schlechte
und/oder geklaute Texte veröffentlichen soll. Niemand hat sich gegen
Qualitätssicherung ausgesprochen.
Wie diese QS
dagegen aussehen soll – darüber kann es schon zu Mord und Totschlag kommen.
Seltsam eigentlich. Man sollte meinen, das Ergebnis zählt. Und nur
sicherheitshalber sei erwähnt, dass „heiklig“ eine bis heute noch zulässige altertümliche Form von „heikel“ ist, die ich bewusst
wählte, weil sie das Wortspiel mit „heilig“ besser erlaubt.
Was ist gut?
Mein sehr
szeneerfahrener und sturmerprobter Autorenfreund Thomas Knip hat eine sehr
interessante Berechnung aufgestellt, die sich mit der anlässlich der immer noch
tobenden Schlammschlacht umstrittenen Frage befasst, wie viele Fehler in einem
Buch noch tolerabel seien:
"Ich habe sehr viele Heftromane eingescannt, nach- und aufbereitet.
Dabei habe ich mir zu Beginn 99% (Fehlerfreiheit) als Zielt gesetzt. Ein
Heftroman hat durchschnittlich 180.000 Zeichen.
Dann habe ich nachgerechnet, und mir ist bewusst geworden, dass 99% bedeutet,
im Text stecken noch 1.800 Scanfehler. Das geht natürlich nicht. Für mich ist
eine einstellige Fehlermenge tolerabel, also maximal 9 (glücklich bin ich damit
trotzdem nicht). Das heißt aber, dass ich bei meiner Bearbeitung eine
Perfektion von 99,995% erreichen muss. Mindestens.
Bei der Zahl werden sich die meisten an den Kopf fassen. Weder Internetanbieter
noch Stromlieferanten garantieren eine solche Quote. Vielleicht noch Betreiber
von Kernkraftwerken (hofft man)."
Halten wir
fest - in keiner anderen Sparte wird ernsthaft ein solcher Grad von
Fehlerfreiheit gefordert. Das gibt es nur in der Literatur. Ich will da auch
gar nicht widersprechen. Aber man sollte sich gelegentlich überlegen, was da
eigentlich gefordert wird und ob man nicht übers Ziel hinausschießt.
Aber
unabhängig von der Frage, welche Fehlerquote tolerabel ist, ist damit in jedem
Fall Qualitätssicherung erforderlich. Soweit besteht noch Einigkeit. Der
Streit bricht los, wenn man beginnt über Art, Ziel und Umfang der QS zu
sprechen.
Autoren sind feige
Es ist
erstaunlich, wie wenig selbstbewusst viele Autoren mit ihrer Kunst umgehen. Man
las beim Schlammcatchen im 2. Akt Erstaunliches.
Autoren behaupteten
im Brustton der Überzeugung, dass sie allein außerstande seien, Texte zu
fertigen, die nicht "mit Millionen Adjektiven",
"Wortwiederholungen" und "Logikbrüchen" verseucht sind.
Sie
behaupteten weiterhin, solche Fehler könnte der Autor „unmöglich selbst beheben“,
er sei auch bei Plotholes, Stil- und Charakterbrüchen oder erforderlichen
Kürzungen völlig überfordert.
Okay. Pause!
Stellt euch vor, ein Chefkoch verlangt von seinem Arbeitgeber, dass er
unbedingt einen Vorkoster und einen Nachwürzer benötigt, weil er echt beim
besten Willen nicht selbst entscheiden kann, wie viel Salz in die Suppe gehört
und was dem Leser schmecken könne. Im Gegenteil - Witzigmann, der
Jahrhundertkoch (tatsächlich ein offizieller Titel) stürmte dereinst in der
Münchner Aubergine aus der Küche, um einem Gast, der nachwürzen wollte, erbost
zu erklären, in einen Picasso würde man schließlich auch nicht reinkritzeln.
Nein, würde man nicht! Und auch nicht bei Beuys nachfeilen oder anmerken, dass
man - um den Bogen zu mainstreamtauglicher Kunst zu schlagen - Adele dringend den
Takt vorgeben sollte. Das erlaubt man sich nur in der Literatur.
Wer also ist Herr über das Werk?
Meine
geschätzte Kollegin Isabelle
Schmidt-Egner hat in der Debatte darauf hingewiesen, dass zuallererst
einmal der Autor in der Lage sein sollte, ein anständiges Buch zu schreiben.
Sie meinte damit, dass neben dem künstlerisch-kreativen Genius, eben auch
Schweiß, Fleiß und - jep! - solides Handwerk gefordert sind. Auch ich finde,
jeder Autor sollte fähig sein, einen guten Text zu schreiben (auch wenn er noch
optimierungsfähig sein mag, ordentlich muss man es alleine können).
Das
relativiert sich, wenn sich (Verlags)Autoren damit brüsten, dass ihre Rohtexte
mit "Millionen Adjektiven", "Logikbrüchen",
"Schachtelsätzen", inkongruenten Charakteren und dergleichen mehr
belastet wären, würde sich ihnen nicht ein Lektor annehmen und ein Buch daraus
machen...
Hier besteht
meiner Meinung nach dringender Bedarf für eine Abgrenzung zwischen "Lektor"
und "Ghostwriter" oder gar "Co-Autor".
Ich denke
wirklich, dieser Ruf nach einem Lektorat ist ein Stück weit Feigheit. Das
erklärt auch die Emotionalität, mit der die Forderung verteidigt wird. Diese
Hörigkeit gegenüber dem Lektorat ist Zeichen unserer bis zu Unverantwortlickeit
verantwortungsscheuen Zeit. Wir wollen heute für alles Absolution, selbst für
das, was wir uns von der Seele schreiben. Dumm nur, dass Lektoren auch nicht
mutiger sind und deshalb vielerorts nach Checkliste vorgehen oder dem, was das
Marketing sagt, soweit sie das nicht nebenbei auch machen. Der moderne Lektor
ist vielseitig.
Lektorat! Oder alternativlos ins Verderben?
Ich
persönlich schreibe meine Texte so gut ich kann. Ich korrigiere sie zweimal,
filze sie auf meine geliebten Füllwörter und zähle Zeilen zwischen den Punkten
auf der Jagd nach Schachtelsätzen. Dann lese ich sie mir möglichst am Stück
laut vor. Und danach sind die gröbsten Schnitzer draußen. Lange bevor ich
mein Werk irgendwem zum Lesen gebe.
"Trotzdem!",
rufen die Lektorats-Fanatiker. Die Überarbeitung müsse unbedingt von
professionellen Lektoren vorgenommen werden. Reservebankspieler wie etwa von
den solcherart belehrten fahrlässigen Schreibern stammelnd vorgeschlagene
andere Autoren oder Betaleser kämen nicht in Frage, weil die einen ja genauso
unbeholfen und die anderen sowieso willenlose Nachplapperer seien, zumal sie
zumeist aus der Familie rekrutiert würden.
Ah ja. Ich
meine, die Debatte wurde auf Facebook geführt, da liest man ja wirklich jede
abgefahrene Meinung, wenn man sich nur die Zeit nimmt. Aber die hier wird
geglaubt?
Familie kann
nicht kritisch sein.
Sagt mal,
habt ihr alle keine Geschwister? Jeder Großinquisitor würde beschämt in der
Ecke stehen, während Tränen der Demut über seine Wangen kullern, wenn er meiner
Schwester beim Kritisieren meiner Arbeit zusehen dürfte. Jeglicher Arbeit. Was
vor ihrem Auge Bestand hat, überdauert auch den atomaren Vernichtungsschlag.
Das übrigens ist ein Grund, warum ich nicht mit Verwandtschaft arbeite. Ich bin
hart, aber nicht masochistisch.
Die
Behauptung, auch zartfühlendere Blutsverwandte seien nicht ehrlich, unterstellt
jenen zudem, dass sie Sinn, Zweck und v.a. Tragweite ihrer Aufgabe nicht
verstehen. Wer behauptet, ich würde einen Text nicht korrigieren, weil ich
seinen Verfasser schonen wollte, unterstellt mir, dass ich ihn auch ohne Licht
durch den Nebel fahren lasse würde, weil ich nicht möchte, dass er denkt, er
könne nicht Autofahren.
Allein die
Aussage, ein Autor könne aus eigener Kraft nur auf Freunde und Verwandte
zurückgreifen, unterstellt einen derartigen Grad an Dilettantismus und sozialer
Isolation, dass mir nichts mehr einfällt. In meiner Welt jedenfalls haben
Freunde das Recht und die Pflicht (!), die Wahrheit zu sagen.
Autoren
taugen nicht als Lektoren.
Zunächst mal
kenne ich einige Verlagslektoren, die durchaus selbst auch schreiben.
.
Doch auch
wenn es stimmen würde, dass ein Autor bei seinen eigenen Texten nur Vollschrott
produziert, dann wäre er doch als fachkundige Leser ein wunderbarer
Ersatzlektor! Einer, der sich intensiv und kritisch mit Texten befasst.
Hier
verkennt man den Unterscheid zwischen "sehen" und "machen".
Wenn Roger Federer, der lange Zeit unbestritten weltbeste Tennisspieler,
natürlich einen Trainer bezahlt, so liegt das nicht daran, dass er es selbst
nicht könnte (kann er, am Besten sogar), sondern daran, dass er betriebsblind
ist.
Dass er auf
Feedback in Bezug auf sein Tun, seine Wirkung angewiesen ist, um sich zu
verbessern. Bloß, weil ich sehe, was mein Kollege falsch macht, weil ich spüre,
wie man es besser machen könnte, heißt das nicht, dass ich es von vornherein
allein besser gekonnt hätte. Oder auch nur genauso gut.
Auch das Argument der Bezahlung vermag nicht zu überzeugen. Denn wenn wir unterstellen, dass Autoren grundsätzlich lektorieren können, spricht doch nichts dagegen, dass sie sich gegenseitig lektorieren und so Zeit statt Barmittel einsetzen.
Betaleser
sind kein Ersatz
Wirklich
nicht? Nun ja, gewiss nicht auf dem Weg, wohl aber beim Ergebnis. Der Wert
eines Betalesers hängt in hohem Maße von der Zielsetzung ab:
- Will ich ein Buch für mich
schreiben (egozentrierter Ansatz)?
- Will ich damit Leser erreichen
(kommunikativer Ansatz)?
- Will ich damit Geld verdienen
(kommerzieller Ansatz)?
- Will ich die Literatur
vorantreiben (künstlerischer Ansatz?)
Beim ersten
Ziel kann mir nur helfen, wer mich versteht. Beim letzten ist ein -
entsprechend vorgebildeter - Lektor sicherlich das Mittel der Wahl. Bei den
beiden anderen, würde ich zunächst immer auf Leser abstellen, denn ob ich mein
Ziel erreiche, hängt von deren Entscheidung ab. Das ist auch nicht neu, sondern
nennt sich in weniger emotionalen Branchen "Marktforschung" oder auch
"Zielgruppenresonanz". Diese Fragen beantwortet meines Erachtens der
Leser besser. Der nimmt nur den Text auf und überlegt nicht automatisch, warum
das so oder so geschrieben wurde, was dies oder das zu sagen hat. Wohin damit
der Plot gelenkt werden soll - oder aber nicht.
Sein erster
Eindruck ist der ehrlichste in Bezug auf mein Buch. aber ist der erste Ansatz -
wenn ein "technischer Fehler" den Leser nicht stört, ist es womöglich
keiner.
Erst wenn
mehrere Leser sagen, da stimmt was nicht, da hakt es - dann brauch ich den
Fachblick, woran das liegen könnte... Speziell, wenn ich nicht weiterkomme.
Ich
persönlich bezweifle, dass ein Lektor noch so lesen kann, wie es ein Leser tut.
Das ist so wahrscheinlich wie ein Erwachsener, der etwas mit den Augen eines
Kindes sehen will. Kann klappen, ist aber die Ausnahme. Entweder ich bin
Fachmann - oder eben nicht.
Darum geht
man ja auch nicht mit Fotografen, Physikern, Medizinern oder Gamern ins Kino.
Die sehen Filme einfach ... anders. Aber ich schreibe doch für den Leser.
Das ist bei
Verlagen übrigens anders. Die lassen primär für den Buchhändler schreiben, dem
sie im ersten Schritt ihre Ware verticken müssen. Und da hat sich ein Bild von
Lesegewohnheiten und dem antizipierten Lesergeschmack verfestigt, das ... nun
ja ... nicht unbedingt deckungsgleich mit den tatsächlichen, sich zudem laufend
ändernden Lesegewohnheiten der Basis ist.
Deshalb auch
das Schielen nach ausländischen Lizenzen. Proof of concept. Wer hätte geglaubt,
dass die Bücher von George R.R. Martin mit ihrem Handbücher füllenden
Protagonistenaufgebot und dem steten Sterben von Identifikationsfiguren
Bestseller werden? Kein Mensch. Aber mit einer US-Lizenz sieht das anders aus.
Gut, der Erfolg der TV-Serie hat auch nicht geschadet. Während aber ein Lektor
nicht weiß, was der Leser will, weiß er was der Zwischenhandel erwartet. Und
von daher ist er - jedenfalls wenn man den Weg über die Buchhandlung nimmt -
schon sehr, sehr wertvoll.
Woran entbrennt dann die Debatte?
Nicht jeder
Lektor ist ein Lektor.
Nein!
Lektoren, müssen Profis sein. Gelegenheitslektoren und Amateure wie
"normale Leser" oder "Autoren" könnten keinesfalls die
hehre Aufgabe erfüllen, die letzte Bastion zum Schutze des Abendlandes vor den
illiteraten Horden von radebrechenden Wortdung tippenden Autoren zu halten.
Deren Auswürfe müssen erst fachkundig aufbereitet und veredelt werden, bevor
man sie unter das Volk bringen darf.
Leider war
nicht herauszubekommen, was nun der vielfach vehement gefoderte
"professionelle Lektor" ist. Professionell steht zuerst einmal für
beruflich. Sagt der Duden. Das bedeutet, man macht es für
Geld. Das ist natürlich zu kurz gegriffen. Der Autor braucht "gute
Lektoren". Solche, die im Verlag arbeiten. Ah, da war
es wieder, das Zauberwort. "Verlag"!
Dann sehen
wir, was der Verlagslektor so im Gegensatz zum Dschungellektor treibt. Speziell
in Bezug auf die Textüberarbeitung, denn wegen ihr sind wir ja unterwegs
(sorry, ich hätte auch nicht erwartet, dass das so kompliziert wird).
Interessant
ist, dass diese Herkulesaufgabe tatsächlich im modernen Berufsbild des Lektors
nach der verbandseigenen Definition doch gleich an vorletzter Stelle
kommt. Direkt vor "Sonstiges".
Selten habe
ich einen "Beruf" untersucht, bei dem das Tätigkeitsbild so diffus
ist. Wobei - das möchte ich betonen - die Anführungszeichen nicht mangelnden
Respekt gegenüber der Tätigkeit ausdrücken sollen, sondern eben dem Umstand
geschuldet sind, dass es Lektor als Beruf nicht gibt.
Im Verlag
macht er einen krassen Job, ist Trendscout, Psychologe, Marketingexperte,
Projektmanager und Qualitätssicherung in einem.
DAS kann und
soll er natürlich im Umgang mit einem SP-Autor nicht tun. Der macht alles bis
auf die QS selbst - oder sucht sich dafür andere Partner. So ein Rebell.
Fazit daher: Es ist richtig, dass sich ein
Verlagslektor von einem Indie-Lektor unterscheidet. Aber das betrifft
Tätigkeitsfelder, die nichts, gar nichts mit Qualitätskontrolle in Bezug auf
die Texte zu tun hat. Letztlich ergibt sich auch aus dem Statement des
Teams um Karla Paul nichts anderes, als dass Lektoren natürlich Texte
bearbeiten, aber eben noch viel, viel mehr machen.
Der Spagat
auf der Schere
Die Dynamik
einer Facebook-Debatte folgt eigenen Gesetzen und leider wird dort mehr noch
als anderswo vom Ergebnis her diskutiert. So auch hier.
Zum Lektorat
in Verlagen (weshalb Verlagsbücher die besseren Bücher seien):
- Auf das Argument, es gebe auch
Verlage ohne Lektorat, hieß es sogleich, ein Verlag ohne Lektorat sei kein
Verlag, sondern nur ein Dienstleister (damit wird einem missliebigen
Argument durch Aussondern der Boden entzogen)
- ein schlechtes Lektorat im
Verlag gebe nicht (da sind dann alles außer Tippfehler stilistisch nicht
zu beanstandende Dinge in der Sparte "geht so" oder "nicht
direkt falsch" - so angesehene Lektoren zu Textbeispielen)
- wenn's nicht geht, war es
stilistisch gewollt (Kunst) oder aber der Autor unbelehrbar.
- Tippfehler können vorkommen.
Niemand ist vollkommen
Umgekehrt
hieß es bei den Indie-Titeln:
- ein Lektor ist kein Lektor,
weil er kein Verlagslektor ist
- dein Stil ist schlecht (nix mit
"geht so", "nicht direkt falsch"), weil du kein
(gscheites) Lektorat hast
- Kunst und Indie schließen sich
aus
- Tippfehler sind unverzeihlich
und zeugen von mangelnden Deutschkenntnissen des Autors.
Genug!
Widmen wir uns der Frage aller Fragen:
Was macht eigentlich ein Lektor im Lektorat?
Zunächst
mal: Lesen! Daher kommt der Begriff auch. Vom Lateinischen "lgere"
Lesen. Wobei dieses Lesen eine deutlich appellativere Prägung hatte, so wie
heute auch noch Professoren "Lesungen" halten.
Mir hat bei
Beck (jur. Lektorat) der Cheflektor gesagt, ein Lektor dürfe nur die Bälle ins
Feld spielen. Verwandeln müsse sie der Autor selbst. Ich finde das sehr
treffend. Und es zeigt, dass es eben auch andere Wege gibt. Ballmaschinen,
Balljungen, andere Spieler ... mag alles nicht so gut sein, wie ein Trainer mit
Ballgefühl, aber es geht und man kann zu guten Ergebnissen kommen.
Korrektorat
Ein
Korrektorat ist die - da kann man wohl zaghaften Konsens feststellen - die
elementarste Stufe der Textüberarbeitung. Es geht um das Ausmerzen von
Tippfehlern, von Grammatikfehlern, die beim Umstellen passieren, um
Wortwiederholungen und Endlossätze. Da der Autor weiß, was er geschrieben hat,
liest er nicht mehr so gründlich. Es gibt Tricks, die eigene Textadaption
auszutricksen, aber so gut wie einer, der den Text das erste Mal liest, wird er
nicht sein. Ein Sprichwort, nicht nur in Autorenkreisen, besagt, dass man
eigene Texte nicht korrigieren kann.
Tatsächlich
bekommt man zwar mit modernen Rechtschreibprogrammen und Autorensoftware
ziemlich gute Texte hin, doch auch ich finde, ein gutes, sorgfältiges
Korrektorat kann man nicht ersetzen.
Und weiter?
Sprachliche Überarbeitung
Speziell
wenn der Auftraggeber ein notwendigerweise gewinngetriebener Verlag ist, ist
die Gefahr groß, dass ein Werk publikumstauglich optimiert wird.
Picasso
hätte man auf die richtige Perspektive und die Sehgewohnheiten der Betrachter
hingewiesen. Matisse gebeten, doch etwas mehr ins Detail zu gehen. Und die
Maler hätten mit Blick auf ihren Traum. von ihrer Kunst leben zu können,
vermutlich zugestimmt. Katastrophal, weil die Verbesserungen zwar handwerklich
richtig, aber künstlerisch falsch gewesen wären.
Die Gefahr
besteht, dass das Buch "barbiefiziert" wird. Es wird wie ein
Modepüppchen zu glatt, zu perfekt, zu optimal gemacht. Es wird ... beliebig -
und da hat man sich dann rechts überholt.
Bevor sich
jetzt all die Grammatikschänder da draußen stolz in die Brust werfen und sich
mit Großmeistern vergleichen - in den allermeisten Fällen verhungern Künstler
mit einer gewissen Berechtigung. Kunst ist riskant. Aber Trash eben auch. Die
Grenzen sind im Voraus schwer auszumachen.
Logik und Dramaturgie
Es ist im
Nachhinein ziemlich schwer, eine festgefahrene Geschichte wieder flott zu
machen. Besser ist es, erst gar nicht in den Graben zu fahren. Da kann ein
"Lektor" gute Dienste leisten. Könnte. Denn üblicherweise geht ein
Buch ins Lektorat, wenn es fertig geschrieben ist, wenn die Karre festsitzt.
Deshalb übernehmen diese Phase des Lektorats auch bei den mir bekannten
Verlagsautoren regelmäßig Kollegen, die man um Rat fragt, mit denen man
nächtens Krisengespräche führt, die verstehen, wie das Gerippe einer Story
zusammengesetzt sein muss.
Man
bespricht sich mit der Familie, weil man stöhnt und seufzt und schlecht gelaunt
ist - und das Umfeld wissen will, warum.
Man könnte
in dem Zusammenhang wohl auch besser von Coaching als von Lektorat sprechen.
Lektorat - der Psychotherapeut der Geschichte?
Gerade, weil
es keine Definition gibt, kann Lektorat alles sein. Ich habe den Vergleich in
der Überschrift mit Bedacht gewählt.
Ein guter
Therapeut wird versuchen, seinen Patienten mit den richtigen Fragen zu helfen,
seinen eigenen Weg zu finden.
Ein
schlechter Therapeut wird ihn dadurch zu dem von ihm als richtig empfundenen
Weg treiben.
Ein sehr
schlechter Therapeut wird dabei den falschen Weg einschlagen.
Oder dem
Patienten einfach sagen, was er zu tun hat.
Wo ein
Betaleser mir nur sagt, wie der Text auf ihn wirkt, kann ein
Lektor dies begründen (warum?). Er kann Tipps geben, wie man
unerwünschte Wirkungen verhindern oder erwünschte herbeiführen kann. Das könnte
ein Autor auch, aber er würde den Rat wohl mit "Ich an deiner Stelle..."
beginnen und damit den Weg des schlechten Therapeuten einschlagen.
Ein guter
Lektor hingegen ist, um im Bild zu bleiben, ein Mediator zwischen der
Geschichte und ihrem Autor.
Der hierfür
erforderliche Dialog setzt voraus, dass er auf einem gemeinsamen Verständnis in
Bezug auf die Ziele und auch den Weg basiert. Die Kommunikation muss
funktionieren. Und ich zumindest vertrete die These, dass der Lektor auch den
Patienten und seinen Lebensraum, sprich in unserem Fall das Genre und die
Zielgruppe, kennen muss, um wirklich zu optimieren. Hardboiled Science Fiction
folgt anderen Leseerwartungen als Romantasy. Ich geh auch nicht zum Zahnarzt,
wenn ich Schmerzen im Fuß habe. Und je mehr Erfahrung ich mit meinem Körper,
anatomischen und physischen Zusammenhängen habe, desto eher werde ich den Fuß
vielleicht auch nur hochlegen, kühlen oder mit einer Bandage stützen und am
Ende nichts falsch gemacht haben.
Kunst ist
keine DIN-normierte Materie. Literatur lebt und Geschichten sind individuell.
Es werden niemals zwei Menschen dasselbe Buch lesen. Ich halte daher die von Frau Nentwich vertretene These, wonach ein Text
lektoriert werden müsse, um bestmöglich zu sein, für falsch.
Ich glaube
schon nicht, dass so die objektiv beste Geschichte entsteht, man kann auch
über-überarbeiten und viele Köche verderben bisweilen den Brei. So wie ein
guter Arzt heilen kann, kann ein schlechter Arzt töten. Manchmal kann sogar ein
grundsätzlich guter Arzt Mist bauen. Es gibt also objektiv keine Garantie, nur
statistische Wahrscheinlichkeiten.
Individuell
hingegen hängt das Ergebnis in hohem Maße von Art und Umfang der Einflussnahme
des Lektors ab. Was in der Diskussion zum Teil vertreten wurde, wonach aus den
"unlesbaren" Fragmenten der Autoren erst unter der Federführung des
Lektors ein Text entsteht, ist für mich nicht mehr mein Erfolg.
Ich habe
auch nie verstanden, wie man auf einem Reitturnier sich sein Pferd vor der
Prüfung vom Trainer abreiten lassen kann, um dann in der Prüfung zu glänzen und
sich über einen Sieg zu freuen.
Fazit:
Ein Lektorat
ist, das bestreitet niemand, ein grundsätzlich guter Weg, um zu einem besseren
Text zu kommen. Es ist nicht notwendig ein Garant für einen guten Text. Und es
ist - davon bin ich überzeugt - nicht der einzige Weg zu einem guten Buch.